Vergleich von Anschubvarianten im Bobsport unter Berücksichtigung biomechanischer und geschlechtsspezifischer Unterschiede

In der Disziplin Bob ist die sportliche Leistung vor allem mit dem Faktor einer hohen Beschleunigung verbunden. Diese ist wiederum abhängig von den sie verursachenden Kräften. Die Muskelkraft der Athleten, die diese Beschleunigungen realisieren, ist von besonderer Bedeutung.

Davon ausgehend muss ein großer Teil des Trainings für die Entwicklung der Muskelkraft, insbesondere der Maximal-, Schnell-, und in geringerem Maße der Ausdauerkraft investiert werden (vgl. Wick 2009, 48). „Es ist trotzdem zu vermuten, dass es keinen für alle Bobsportler gleichermaßen leistungsbestimmenden Faktor gibt.“ (Weiß 1989, 60)

Sowohl die konditionellen Voraussetzungen, als auch die koordinativen Fähigkeiten sind für eine technisch/ optimale Umsetzung der jeweiligen Starttechnik von enormer Bedeutung. „Daher ergibt sich für das Training die Forderung, die leistungsbegrenzenden Faktoren durch individuell angelegtes Training verstärkt zu entwickeln.“ (ebd., 60) Weiterhin ist die Körpermasse der Athleten ein nicht unerheblicher Faktor, welcher die sportliche Leistung limitieren kann. Prinzipiell bedingt eine kleinere Masse die Beschleunigung positiv (vgl. Wick 2009, 48). Wick (2009) vertritt die Meinung, dass: „Bei der Betrachtung der Massen der Athleten immer die aktive Muskelmasse von einer passiven Masse (Unterhautfettgewebe) unterschieden werden muss.“ (Wick 2009, 48) Da sich beim Bobfahren laut Reglement das Gesamtgewicht aus der Masse des Bobschlittens und der Masse der Besatzungsmitglieder (Ʃ340kg) zusammensetzt, muss das Ziel im Frauenbereich ein leistungsorientiertes Krafttrainings sein. Zielsetzung des Krafttrainings sollte eine Zunahme der Muskelmasse sowie eine Zunahme der Gesamtkörpermasse sein (s. Kap. 2.1.2).

Durch die Massenträgheit des Bobschlittens ergeben sich weitere wichtige Punkte für den Start der Frauen (s. Kap. 3.1. und 4.1.3). Im Wesentlichen wäre eine Gewichtsminderung des Wettkampfgerätes aus meiner Sicht für die Frauen sinnvoll. Einerseits um die Attraktivität dieser Sportart weiter zu erhöhen, andererseits um die in dieser Arbeit dargestellten Probleme zu kompensieren.

Anlauf-Druck-Technik (Pilot): Wie im Kapitel 2 beschrieben, weisen Frauen eine geringere Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Kraft und Schnelligkeit auf. Dieser Umstand und die schon beschriebene Problematik der zeitlichen Koordination beim Power-Start lassen darauf schließen, dass die in Punkt 5.3 beschriebenen Vorteile nur bei einer technisch-perfekte Ausführung von Wirkung sind. Meist wird durch ein zu frühes Auflaufen des Piloten auf den Bügel, dem Anschieber der Bob vorweggenommen. Es kann daher nicht zu einer beidbeinigen Streckung seitens des Anschiebers kommen, was in einem solchen Fall bedeutet, dass die Gefahr einer nicht maximalen Leistungsabgabe besteht (vgl. Weiß 1989, 58). Des Weiteren beurteilt Weiß die Leistungswirksamkeit der ADT mit Hilfe einer Modellrechnung. „Dabei ergibt sich, dass die Relativgeschwindigkeit zwischen Pilot und Bob sowie der Zeitpunkt des Auflaufens die entscheidenden Größen sind. Für die speziell betrachteten Bedingungen ergibt sich eine Relativgeschwindigkeit Fahrer zu Bob von 2,02 ms-1 als Minimum, um Geschwindigkeitsvorteile zu erzielen.“ (Weiß 1989, 89) Da aber momentan gerade im Frauenbereich mit wechselnden Anschieberinnen gefahren wird, ist aus meiner Sicht ein so komplexer Bewegungsablauf nicht beständig reproduzierbar. Da von einem Großteil der deutschen Pilotinnen sogar nur ein halber Power-Start (Pilotin steht nicht auf dem Startbalken, sondern auf halber Höhe des Gerätes auf dem Eis) vollzogen wird, ist nach Beurteilung von Weiß (1989) die Wirksamkeit der ADT im Frauenbereich mehr als fraglich. Es überwiegen meiner Meinung nach die in der Arbeit beschriebenen Nachteile der Power-Start-Methode und daher ist sie für die meisten Pilotinnen nicht als Startvariante geeignet. Ausnahme wäre eine Pilotin mit sehr guten konditionellen und koordinativen Fähigkeiten und einer stabilen Anlauf-Druck-Technik. Weiterhin müssten sehr viele Starts mit ein und derselben Bremserin trainiert werden, um das Problem der zeitlichen Koordination zu minimieren.

Zug-Druck-Technik aus der Ruhe (Bremser): Diese Variante ist aus meiner Sicht eine suboptimale Version dieser Technik. Momentan starten die Frauenteams mit identisch schweren Bobs. Das Gerät wiegt bei den Frauen wie bei den Männer 170kg.
Mit Hinweis auf die vorangestellten Kraftdefizite wird es für die Bremserin alleine sehr schwer werden, aus der Ruhe die notwendig hohen Kräfte aufzubringen, um den Widerstand des stehenden Gerätes zu überwinden.

Die Kombination von Nur-Druck-Technik (Pilot) und Zug-Druck-Technik (Bremser) mit einer Rückbewegung des Bobschlittens beginnend, ist aus meiner Sicht die geeignetste Startvariante für den Zweierbob der Frauen. Durch die einleitende Bewegung wird bei beiden Athleten der Aufbau einer maximalen Anfangskraft erzeugt (s. Kap. 3.1). Es ist aber zu beachten, dass zu geringe Rückschubgeschwindigkeiten Verluste in der Größe der Anfangskraft und damit geringere Geschwindigkeiten nach dem 1. Anruck bedeuten (vgl. Weiß 1989, 96a). Im Kapitel 4.1.3 wurde schon auf die Bedeutung des 1. Anrucks hingewiesen. Gerade in dieser ersten Phase sollte ein besonders großer Beschleunigungsimpuls vollzogen werden. WEIß (1989) schlussfolgerte, dass beim Zweierstart die erste Beschleunigungsphase noch wichtiger ist, als beim Einzelstart. Weiterhin macht eine Modellrechnung von Weiß deutlich, dass bei einem Krafteinsatz Fahrer nach Bremser und auch Bremser nach Fahrer bereits bei einer Differenz von 0,01 s Geschwindigkeitsverluste auftreten. Dabei zeigt sich, dass ein Krafteinsatz Bremser nach Fahrer größere Verluste bringt als der umgekehrte Fall (vgl. Weiß 1989, 73-75). Für das mannschaftliche Techniktraining bedeutet dies, dass darauf geachtet werden muss, dass der Krafteinsatz des Anschiebers nie nach dem Piloten einsetzt (vgl. Weiß 1989, 75). Ebenso wird die zeitliche Koordination (welche einen wesentlichen Einflussfaktor darstellt) durch die gemeinsame Rückbewegung des Schlittens in dieser Form der Starttechnik begünstigt. Daher können, wie eben beschrieben, ungleiche Krafteinsätze von Pilot und Bremser minimiert bzw. eliminiert werden. Dies hat zur Folge, dass ein frühzeitiges Formieren einer Mannschaft als leistungswirksam einzuschätzen ist (vgl. Weiß 1989, 104).

Generell kann man keine Aussage über die Effizienz der einen oder andere Starttechnik treffen. Es sind immer die individuellen Voraussetzungen der Athleten, welche für eine bestimmte Startvariante von ausschlaggebender Bedeutung sind.

 

Standorte
Online; Schrank; Bob15
Ort
Köln
Jahr
2011
Studiengang
DTS 2-16
Autoren
Heyder, Christoph