Trainerphilosophie – ein wichtiger Baustein im Diplom-Trainer-Studium und die Grundlage für erfolgreiches Trainerhandeln

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05.08.2022 | 09:22 Uhr

von Markus Finck und Lothar Linz. Erschienen in Leistungssport 04/2022

„Die Zukunft des Trainerberufs liegt in der Entwicklung der Trainerpersönlichkeit.“ (Weise, 2012a)

In der Trainerausbildung steht traditionell die Vermittlung von Fach- und Methodenkompetenz im Mittelpunkt. Die meiste Zeit in der Ausbildung wird darauf verwendet, taktische, technischeund athletische Inhalte zu unterrichten. Auch sportpsychologische Themen finden zunehmend Eingang in die Trainerausbildung.

Folgt man dem Zitat von Markus Weise, so ist es aber bedeutsam, neben der Inhaltsvermittlung mehr Aufmerksamkeit auf die Begleitung der   Persönlichkeitsentwicklung zu legen. An derTrainerakademie Köln des DOSB gehört deshalb seit über zehn Jahren die Beschäftigung mit der eigenen  Trainerphilosophie zum Curriculum für das Diplom-Trainer-Studium. Die Trainerstudentinnen und –studenten sollen sich über drei Jahre mit sich selbst  auseinandersetzen und eine eigene Trainerphilosophie (weiter-)entwickeln. Der folgende Beitrag beschreibt, was wir dabei genau unter dem Konzept einer  „Trainerphilosophie“ verstehen und wie wir dieses Thema praktisch in der Vermittlung angehen.

1. Trainerphilosophie – Eine Orientierungshilfe für das eigene Handeln

Als Trainer im Sport handelt man ständig. Ob nun im Austausch mit Verband, Verein oder Eltern, in der Organisation von Training und Wettkampf oder in der praktischen Arbeit mit den Athletinnen und Athleten. Und immer treffen wir dabei Entscheidungen (Finck, 2016). Der frühere Eishockey-Bundestrainer Uwe Krupp sprach in einem Vortrag vor Studenten der Trainerakademie einmal davon, dass Entscheidungen zu treffen die wichtigste Aufgabe eines Trainers sei. Aber wonach richten wir uns in unserem Handeln und bei unseren Entscheidungen? Von welchen Grundsätzen werden wir selbst dabei geleitet? Vielen Trainern ist das, bezogen auf die eigene Person, kaum bewusst. Zu bedenken ist jedoch: Je weniger Bewusstheit über die mich innerlich und äußerlich beeinflussenden Faktoren ich als Trainer habe, desto weniger werde ich in meinen Handlungen und Entscheidungen frei und gestaltend sein können. Vielmehr werde ich immer wieder von inneren ungeklärten Anteilen „getrieben“, ebenso werde ich in den vielfältigen Einflussfaktoren des Umfeldes nur schwerlich eine autonome, zu mir passende Position einnehmen können. Und von diesen Umfeldeinflüssen gibt es wahrlich eine Menge, wie Abbildung 1 zeigt.

2. Konzeptklärung: Definition und Faktoren einer Trainerphilosophie

Es erscheint deshalb wesentlich, dass Trainer einen inneren Kompass entwickeln, der ihnen als Orientierung dient. Ein Beleg dafür sind die Ergebnisse des „Serial Winning Coaches“-Projekts (Mallet& Lara-Bercial, 2016). Bei der Analyse von 14 Spitzentrainern stellt sich als ein wichtiger gemeinsamer Faktor dieser besonders erfolgreichen Trainerpersönlichkeiten „die Entwicklung einer klaren Philosophie“ heraus. Dieser innere Kompass kann auf einer Reihe von Faktoren basieren. Wir haben uns entschieden, für diese innere Orientierung den Begriff  „Trainerphilosophie“ zu verwenden (siehe auch Lyle, 1999). Sicher ist das ein Begriff, über dessen Passung und Eignung man trefflich diskutieren kann. Leicht kann man den Ausdruck „Philosophieren“ als etwas eher Geistiges oder Abgehobenes ansehen. So sagte Frank Rijkaard einmal: „Ich halte Philosophie in diesem Zusammenhang für ein ziemlich großes Wort. Natürlich sollte man bestimmte Arbeitsmethoden haben. Aber man hat eben auch bestimmte Spieler, mit denen man zusammenarbeitet, und natürlich muss man die Methoden und Ideen auswählen, die diesen Spielern entsprechen“ (Rijkaard, 2005). Dennoch scheint der Begriff „Trainerphilosophie“ uns am besten geeignet, dasjenige sprachlich zu umfassen, was uns im Sinn ist. Zudem ist es ein Begriff, der international in der Wissenschaft etabliert ist, auch wenn sich nicht immer die genau gleichen Konzepte damit verbinden. Der Begriff Trainerphilosophie (coaching philosophy) wird auch in der internationalen Coaching-Forschung verwendet.Hier wird dem Thema seit Beginn der 1990er Jahre zunehmend mehr Aufmerksamkeit geschenkt, wobei unterschiedliche
Perspektiven betrachtet werden (zusammenfassend Cushion & Partington,2014). Übereinstimmend wird Trainerphilosophie mit den Werten und Überzeugungen von Trainern in Verbindung gebracht, wobei insbesondere Lyle (1999) den Bezug zur praktischen Tätigkeit betont, weil sich im Verhalten und Handeln der Trainer seine grundlegenden Werte und Überzeugungen zeigen. Zusammenfassend definieren Gould et al. (2017, S. 14) mit Verweis auf Jenkins (2010) Trainerphilosophie wie folgt: „A coaching philosophy is defined as those beliefs, principles and values that guide behavior and charaterize
one’s coaching practice“.

Uns geht dieses Verständnis aber nicht weit genug, berücksichtigt es zum Beispiel nicht die Motivlage von Menschen, welche unserer Ansicht nach auch einen bedeutsamen Einfluss auf die Philosophie und das Handeln von Trainern nimmt (Heckhausen & Heckhausen, 2018). Außerdem wir die Genese der persönlichen Trainerphilosophie zu wenig berücksichtigt. Deswegen wollen wir hier eine erweiterte Definition geben, was eine Trainerphilosophie
aus unserer Sicht beinhalten kann:

Eine Trainerphilosophie dient als Orientierung für das eigene Handeln und Entscheiden. Sie umfasst die eigenen Werte und Überzeugungen, berücksichtigt die eigenen Stärken und Ziele/Visionen und fußt auf den bis hierhin gemachten Erfahrungen und Prägungen sowie den erlebten positiven und negativen Vorbildern. Zudem wird sie durch die eigene Motivstruktur beeinflusst und damit durch die Frage, was mich persönlich antreibt und worin ich Erfüllung finde.

 

Die Abbildung 2 zeigt die in unserer Definition enthaltenen Faktoren, welche auf eine Trainerphilosophie einwirken. Im Mittelpunkt steht dabei immer die einzelne Trainerpersönlichkeit. Aus unserer Sicht kann man die einwirkenden Faktoren in zwei Gruppen unterteilen. Zum einen gibt es Faktoren wie Werte und Überzeugungen, die ich selbst aktiv beeinflussen kann. Daneben gibt es die „tieferen“ Faktoren, welche sich in der Vergangenheit in mir gebildet haben und die ich entweder kaum bis gar nicht beeinflussen kann.

Oder aber, wie im Falle von Erfahrungen und Vorbildern, kann ich zwar neue Erfahrungen schaffen und neue Vorbilder finden, jedoch die gemachten Erfahrungen und die Vorbilder meiner Vergangenheit nicht mehr beeinflussen. Diese tieferen Faktoren sind, so zeigt die Erfahrung im Unterricht mit den Studenten der Trainerakademie (dazu später mehr), vielen Menschen wenig bis gar nicht bewusst, was ihre Wirksamkeit in keiner Weise einschränkt.

Aus unserer Definition einer Trainerphilosophie wird erkennbar, dass diese sich im Fluss befindet, sodass eine Formulierung der eigenen Trainerphilosophie immer nur den aktuellen Stand ausdrückt, da sich wichtige ihr zugrunde liegende Faktoren ständig verändern (können). Allein schon der eigene   Erfahrungsschatz ist einem ständigen Wandel unterworfen. Ebenso können sich Werte und Überzeugungen – zwei von uns als besonders wichtig erlebte
Faktoren – jederzeit verändern. Den Prozess- bzw. Entwicklungscharakter einer Trainerphilosophie beschreibt Hunter (2010) sehr passend in folgendem Zitat:

„Das Wort Philosophie hat griechische Ursprünge und bedeutet ‚Liebe zur Weisheit‘. Coaches sammeln auf ihrer Suche nach Coaching-Weisheit Wissen aus vielen Quellen. Der Coach wird dieses Wissen assimilieren und verschiedene Prinzipien, Ideen und Überzeugungen entwickeln, die zusammen eine Coaching-Philosophie bilden. Anekdotische Beweise und Intuition, die durch jahrelange Erfahrung gewonnen wurden, sind unschätzbare Informationsquellen beim Aufbau einer Coaching-Philosophie. Darüber hinaus wird ein kluger Coach mit den relevanten Fakten und wissenschaftlichen Beweisen vertraut sein. Solches Wissen ist an sich schon nützlich, kann aber auch eine zusätzliche ‚Sichtweise‘ bieten, wenn es darum geht, die anekdotischen Beweise und Vermutungen zu bewerten, die im Coaching wesentlich sind. Mit zunehmender Erfahrung und zunehmendem Wissen wird der Coach die Coaching-Philosophie neu bewerten und, falls erforderlich, modifizieren. Ein solcher fortlaufender Prozess ist in der Tat gesund für einen Coach in seiner oder ihrer Suche nach Coaching-Weisheit“ (Hunter 2010, S. 23).

3. Zur Veranschaulichung: Beispiele einer Trainerphilosophie
In Interviews findet man zunehmend Zitate von Trainern, in denen diese von ihrer Trainerphilosophie sprechen. Es zeigt sich aber, dass hier meist deutlich simplere Modelle zugrunde liegen. So sagt zum Beispiel Ralf Lietz (Lietz, 2007): „Vereinfacht gesagt: ‚Was zählt, ist auf dem Platz‘. Obwohl der Satz fast schon eine Phrase ist, trifft er es genau. Wenn man gewinnt, hat man alles richtig gemacht, egal wie die Philosophie aussieht. Meine Philosophie ist ein kooperatives Arbeiten mit Spielern. Grundlage dabei ist in erster Linie Disziplin“! Der frühere Schwimm-Bundestrainer Ørjan Madsen (Pfaff &Madsen, 2008) äußerte im Interview: „Um ‚Weltklasse‘ denken und dann auch handeln zu können, darf man nicht an alten Problemen hängen bleiben, sondern muss lösungsorientiert vorgehen und vorwärtsgerichtet denken. Das ist eine grundsätzliche Philosophie und keine Sache, die von heute auf morgen eingeführt
werden kann. D. h., wir verfolgen einen langfristigen, bewussten Prozess, der ein ständiges Erinnern und stetiges Arbeiten erfordert“.

Es ist unschwer zu erkennen, dass diese Zitate in ihrer Idee einer Philosophie „nur“ auf einzelnen Grundsätzen und Überzeugungen beruhen und damit nicht dem komplexeren Modell entsprechen, welches wir weiter oben dargestellt haben. Somit greifen sie als wirklicher Kompass für das Trainerhandeln nicht weit genug.

Etwas umfänglicher ist dagegen schon die Formulierung von Markus Weise (2012b):

„Die aus meiner Sicht beste Haltung für langfristigen Erfolg besteht aus folgender Mischung:
1. eine klare Vorstellung davon, was erreicht sein soll, verwurzelt in tiefer Selbstkenntnis,
2. starkes Vertrauen in unsere Aussichten,
3. zielgerichtete Konzentration,
4. sture Konsequenz,
5. emotionale Entschlossenheit,
6. ein Charakter, der dich auf Kurs hält und
7. schon unterwegs Freude empfinden in meinem Job.
Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern auf dem des amerikanischen Philosophen und Coach Tom Morris, der seinerseits auf das Denken von William James zurückgreift. So, Ende der „Philosophiestunde…“.

 

Auch dieses Zitat umfasst nur einen Ausschnitt aus einer wirklichen Trainerphilosophie, da die Aussage speziell auf die Haltung für langfristigen Erfolg formuliert ist. Aber immerhin erleben wir in den Aussagen von Markus Weise schon eine höhere Komplexität.

Auch Guthrie (2003) gibt ein schönes Beispiel für eine erweiterte Idee einer Trainerphilosophie. So beschreibt er seine Trainerphilosophie in neun Imperativen:

  1. Bleibe du selbst!
  2. Definiere deine Ziele als Trainer!
  3. Lege Regeln fest!
  4. Entwickle und erhalte Beziehungen zu deinen Sportlern!
  5. Sei gut organisiert!
  6. Beziehe deine Assistenztrainer ein!
  7. Hilf deinen Sportlern, ihre Ziele zu erfüllen!
  8. Hilf deinen Sportlern, mit dem Druck und Stress umzugehen!
  9. Konzentriere dich auf die langfristigen Effekte deiner Arbeit, auch nach dem Ende der sportlichen Laufbahn deiner Sportler!

Anhand dieses Beispiels ist schon gut erkennbar, wie eine solche Trainerphilosophie der einzelnen Person Orientierung für das eigene Handeln und  Entscheiden bieten kann. Will man den Komplexitätsgrad noch einmal steigern, so schaut man am besten in Autobiografien von Trainern (z. B. Schuster, 2021). In den Darstellungen ihres Handelns kann man häufig erkennen, von welchen Werten, Erfahrungen und Grundüberzeugungen ihre Entscheidungen geleitet wurden und werden. Gelingt es, dass sich die eigene Trainerphilosophie im eigenen Handeln widerspiegelt, so ist deren Funktion erfüllt.

Besonders anschaulich ist die Darstellung von Günter Bresnik (2017), der in seinem Buch nicht nur seine Arbeit mit Dominic Thiem über mehr als zehn Jahre darstellt, sodass man viel über die Grundlagen seines Handelns erfahren kann. Zusätzlich formuliert er 17 Grundüberzeugungen zur Entstehung von Erfolg, welche er als „Sieger-Tipps“ tituliert, die aber in Wirklichkeit Ausdruck seiner Trainerphilosophie sind:

  • Am Anfang steht das Ziel.
  • Ein Wunsch ist kein Ziel.
  • Ein gutes Ziel ist ehrgeizig.
  • Vorbilder nützt man durch Analyse, nicht durch Kopie.
  • Lernen beginnt mit dem Eingeständnis von Unwissen.
  • Wer an Fehler denkt, wird Fehler begehen.
  • Man bricht eine Regel nicht, bevor man sie verstanden hat.
  • Leistung entsteht nicht aus Selbstvertrauen. Selbstvertrauen entsteht ausLeistung.
  • Erfolg rechtfertigt jeden Aufwand, aber nicht jeden Preis.
  • Man kann Misserfolg nicht ausschließen. Aber man kann damit umgehen.
  • Talent ist unbedeutend.
  • Wirklich gut wird man nur in etwas, das man liebt.
  • Nicht zu arbeiten ist besser, als schlecht zu arbeiten.
  • Leistung kann man erzeugen, Erfolg muss geschehen.
  • Die Substanz setzt sich am Ende durch, nicht die Oberfläche.
  • Erfolg entscheidet sich nicht am Ende, sondern am Anfang.
  • Eine gute Führungspersönlichkeit muss zuerst Persönlichkeit sein.

Nicht nur, dass hier eine Menge sehr nachdenkenswerter Sätze formuliert werden, noch mehr zeigt sich, dass diese Aussagen auf a) Werten beruhen, b) Überzeugungen ausdrücken, c) auf Erfahrung und Einsicht basieren und d) sich sowohl an die Sportler wie auch an Trainer richten. Damit wird zum einen sichtbar, wie die oben im Modell einer Trainerphilosophie genannten Faktoren sich in der Umsetzung niederschlagen können. Zum anderen wird deutlich, dass eine Trainerphilosophie für Athleten wie Trainer gleichermaßen gültig sein muss.

Betont werden sollte aus unserer Sicht noch einmal, dass eine Trainerphilosophie nur dann hilfreich ist, wenn sie sich auch im Handeln der Trainerperson niederschlägt. Es geht also nicht um schöne Gedanken und wohlklingende Werte. Schon Lyle (1999) sagte, dass eine solche Trainerphilosophie nicht nur widerspiegeln darf, „was ich denke wie Trainerverhalten aussehen sollte“. Erst in der Praxis zeigt sich der Wert meiner Trainerphilosophie. Finden sich meine Werte und Überzeugungen auch in meinem Handeln wieder? Würden meine Athleten meine Trainerphilosophie ähnlich beschreiben, wie ich selbst das tue? Eine Analyse von Din et al. (2015) zeigt, dass erfolgreiche kanadische Trainer sich unter anderem dadurch auszeichnen, dass die von ihnen bei den Olympischen Spielen in Vancouver betreuten Athleten – befragt wurden 12 Gewinner von Gold- oder Silbermedaillen – deren Führungsverhalten sehr ähnlich beschrieben, wie es die Trainer selbst taten. Solche Ergebnisse legen zumindest nahe, dass eine hohe Kongruenz zwischen meinen Überzeugungen und meinen Werten auf der einen Seite und meinem Verhalten auf der anderen Seite erfolgreiches Trainerhandeln begünstigt.

4. Zur Entwicklung einer Trainerphilosophie

Nachdem nun anschaulich geworden sein dürfte, was wir a) unter einer Trainerphilosophie verstehen und worin wir b) den Nutzen einer solchen sehen, wollen wir im Weiteren beschreiben, wie wir im Rahmen des Diplom-Trainer-Studiums (DTS) an der Trainerakademie Köln des Deutschen Olympischen Sportbundes mit unseren Trainer-Studenten an diesem Thema arbeiten.

Dazu muss man sagen, dass über den Entwicklungsprozess einer Trainerphilosophie bisher wenig bekannt ist. Sicher scheint nur, dass es ein langfristiger Prozess (ten years of evolution) ist, in dem die Persönlichkeit und die Ausbildung eine Rolle spielen können (Jenkins 2010, S. 238 f.). Möglichkeiten und Wege, mit den Trainern gemeinsam Entwicklungsprozesse anzuschieben, wollen wir im Folgenden aufzeigen.

Das Diplom-Trainer-Studium

Das DTS zielt darauf ab, Trainer für die Trainertätigkeit im Leistungssport zu qualifizieren, indem berufliche Handlungskompetenzen entwickelt und erweitert
werden (Trainerakademie, 2021a). Kompetenz im beruflichen Kontext zeigt sich in der Fähigkeit, in neuen, komplexen Situationen kreativ und selbstorganisiert
handeln zu können. Voraussetzung ist es dabei, sich mit dem eigenen Handeln kritisch auseinanderzusetzen, dieses zu reflektieren und entsprechend zu optimieren. Ausgangspunkt der Entwicklung von Trainern im DTS ist die Charakteristik der Trainertätigkeit (Abbildung 3).

Die Trainerphilosophie spielt hierbei eine übergeordnete Rolle, da sie das Verhalten und Handeln des Trainers bei allen zu lösenden Anforderungen, bewusst oder unbewusst, beeinflusst.

Die Erarbeitung einer individuellen Trainerphilosophie ist ein überdauernder Prozess, der als Schwerpunkt des Reflexionsmoduls RFM 4 (vgl. Abbildung 4) die Trainer während ihres dreijährigen Studiums begleitet (Trainerakademie, 2021b). Der didaktisch-methodische Aufbau des Reflexionsmoduls basiert auf folgenden Komponenten:

  1. Vier bis fünf Best-practice-Vorträge von erfahrenen, meist sehr erfolgreichen Trainern aus dem Leistungssport, welche ihre eigene Trainerphilosophie in 90 bis 180 Minuten vorstellen und mit den Studierenden diskutieren. Aber auch weniger bekannte Namen werden eingeladen, da es für die Studenten interessant sein kann, von den Erfahrungen der ersten Jahre als verantwortlicher Coach zu profitieren oder von Trainern zu lernen, welche jenseits der Öffentlichkeit agieren. Auch achten wir darauf, dass in jedem Jahrgang sowohl Einzel- als auch Mannschaftssportarten präsentiert werden.
    Sinn dieser Vorträge ist es, dass die Trainerstudenten Anregungen bekommen, wie andere Kollegen ihre Trainerphilosophie entwickelt haben, was für sie dabei prägende Erfahrungen waren und wie sie ihre Überzeugungen in ihrem Handeln umsetzen.
  2.  Bereits in der Einführungswoche wird das Thema kurz präsentiert und die Studenten erleben einen ersten Vortrag einer gestanden Trainerperson. In der zweiten oder dritten Studienwoche wird das Thema dann vertieft und es wird anhand der Methode „Zitate-Memory“ verdeutlicht, dass eine klare Trainerphilosophie dabei hilft, als Trainer ein klareres Profil zu entwickeln und damit für die Sportler greifbarer zu werden. (Die Methode basiert auf der Aufgabe, charakteristische Zitate von bekannten Trainern diesen zuzuordnen.)
  3. Zwischen den Vorträgen führen wir mit den Studenten insgesamt drei bis vier meist 90-minütige Workshops durch, in denen sie durch Fragen und verschiedene andere Methoden angeregt werden, sich über ihre eigenen Stärken, Werte, Überzeugungen usw. klarer zu werden. (Ein Beispiel wäre die Aufgabe: Erstellen Sie Ihre eigene Wertepyramide!) Meist geschieht der Prozess der Auseinandersetzung mit den Aufgaben in den beiden Schritten Selbstreflexion und dem nachfolgenden Austausch in Kleingruppen.
  4.  Zum Abschluss muss sich jeder Trainerstudent am letzten Unterrichtstag vor die Gruppe stellen und die eigene Trainerphilosophie, Stand heute, präsentieren. Für manche der Beteiligten ist das zunächst eine schwierige Aufgabe, aber wir erleben immer wieder die Eigendynamik dieses Präsentationstages. Es wird immer persönlicher und die meisten Studenten erleben den Tag am Ende als großen Gewinn.

Zur besseren Veranschaulichung wollen wir nun konkrete Methoden der Umsetzung in den Workshops darstellen:

  • Einstieg mit dem Zitatmemory: Nach dem ersten Vortrag eines Trainers starten wir in die Thematik mit dem Spiel Zitate-Memory. Die Trainer-Studentenen werden in zwei Gruppen eingeteilt und haben die Aufgabe, 13 Zitate den jeweiligen Autoren zuzuordnen. Dies geschieht in einer Gruppenarbeit, d. h., die Trainer-Studenten müssen in der Gruppe diskutieren, welches Zitat zu welchem Trainer passt und sich einigen. Alle Zitate sagen im Kern etwas über die Philosophie der jeweiligen „Autoren“ aus. Die Verfasser der Zitate sind sowohl bekannte Trainer als auch Philosophen, wie z. B. Konfuzius. Beispielsweise ist das Zitat: „Qualität kommt von Qual“, relativ einfach dem Fußballtrainer Felix Magath zuzuordnen. Im Kern geht es nicht in erster Linie darum, dass die Zitate richtig zugeordnet werden, sondern dass sich die Diplom-Trainer-Studenten Gedanken darüber machen, welche Werte und Überzeugungen den Zitaten zugrunde liegen und wie dies die Persönlichkeit der jeweiligen Person widerspiegelt. Dadurch entwickeln sie ein individuelles Handeln.
  • Wertepyramide (Abbildung 5): Diese Übung dient dazu, die eigenen Werte zu überdenken und in eine persönliche Reihenfolge zu bringen. Die Studenten sollen zunächst individuell überlegen, welche sechs Werte ihnen (besonders) wichtig sind. Jeweils einen Wert schreiben sie auf eine Karteikarte. Im zweiten Schritt sollen sie die sechs Werte in eine Reihenfolge bringen. Dabei werden die individuell auf Rang vier bis sechs gerankten Werte in die untere Ebene gelegt, die Werte auf Rang zwei und drei auf die mittlere Ebene und der subjektiv am höchsten gewichtete Wert auf die obere Ebene. Der Reiz einer solchen Wertepyramide im Gegensatz zu einer einfachen Auflistung liegt darin, dass die Werte der unteren Ebene immer noch unverzichtbar sind, wie das Bild einer Pyramide zeigt. Würde man unten einen Wert (= Baustein) entnehmen, würde die gesamte Pyramide zusammenbrechen. Es geht also im Trainerhandeln nicht darum, sich auf die Umsetzung des einen zentralen Wertes zu fokussieren, vielmehr müssen alle relevanten Werte Berücksichtigung finden.

Die Arbeit mit den Trainer-Studenten am Thema  Trainerphilosophie endet am letzten Studientag. Hier wird jeder Diplom-Trainer-Student sichtbar und hörbar, indem er seine Trainerphilosophie vor der Studiengruppe präsentiert. Die Trainer sind dabei frei in der Wahl ihrer Mittel, hier kann der Kreativität freier Lauf gelassen werden. Diese letzte Studieneinheit haben wir in den vergangenen Jahren als äußerst spannend und sehr emotional erlebt. Viele der Trainer  präsentieren hier zum ersten Mal ihre Trainerphilosophie, d. h., sind gezwungen, diese in Worte zu fassen und für sich und andere greifbar zu
machen. Zugleich werden sie durch die Präsentation der anderen Mitstudenten noch einmal in ihrem Denken angeregt, da sich bei 25 bis 30 Absolventen ein Bild mit vielen Überschneidungen, aber auch ebenso vielen individuellen Ausprägungen der Trainerphilosophie ergibt.


Die Literaturliste zu diesem Beitrag steht unter www.leistungssport.net zum Download bereit.