Durchblick ohne Überblick - Komplexität managen

25.09.2013 | 10:59 Uhr

Trainerhandeln bedeutet unter anderem, mit hoch komplexen Situationen umzugehen und dennoch möglichst passende Entscheidungen zu treffen. Dies gilt nicht nur für Coaching-Situationen etwa in den Spielsportarten, sondern schon für jedes Training, in dem die vielen einzelnen Wirkfaktoren und ihre gegenseitigen Beeinflussungen und Abhängigkeiten zu berücksichtigen sind.

Komplexität ist allerdings kein Thema, das auf sportliches Handeln beschränkt ist – Komplexität kommt in vielen Lebenslagen vor. Von entscheidender Bedeutung ist der Umgang damit im Berufs- und Wirtschaftsleben. Kein Wunder also, dass gerade dort versucht wird, das Management von Komplexität zu professionalisieren. In der Oktober-2013-Ausgabe der Zeitschrift managerSeminare fasst ein Beitrag von Andree Martens (S. 24-30) aktuelle Erkenntnisse zusammen. Nicht alles ist auf den Sport übertragbar, aber interessante Anregungen sind hier zusammengestellt:
  • Komplexität entsteht nicht nur durch eine große Anzahl von Faktoren, sondern vor allem auch durch deren Beziehungen und Wechselwirkungen untereinander. Und: diese verändern sich ständig, unter Umständen sehr schnell.
  • Folgen für die Situationsanalyse als Entscheidungsgrundlage: auch die Beziehungen, Wechselwirkungen und Strukturen berücksichtigen und auf Veränderungen achten, die schon während der Analyse auftreten.
  • In den letzten Jahren wurde zunehmend die Strategie genutzt, die Komplexität durch Vereinfachungsmaßnahmen zu „entschärfen“. Dadurch lässt sich häufig kurzfristig Fortschritt erzielen, langfristig aber vermutlich nicht.
  • Komplexität kann aber auch als Vorteil verstanden werden: je mehr Handlungsmöglichkeiten bestehen, umso eher lassen sich Lösungen für Probleme und Störungen finden. Anders gesagt: Komplexität beinhaltet eben auch, mehr Wahlmöglichkeiten zu haben.
  • Um diesen potentiellen Vorteil zu nutzen, sollten aber keine zu schnellen, sprich: vorschnellen Festlegungen oder Ausschlüsse von Alternativen getroffen werden. Auch lassen sich Lösungen durch Kombination von Möglichkeiten nur treffen, so lange die potentiellen Möglichkeiten noch „im Spiel sind“.
  • Ein typisch menschliches Verhalten, basierend auf dem (oft unbewussten) Bedürfnis nach simplen Rezepten, schnellen Lösungen, Sicherheitsgefühl durch Eindeutigkeit nach Entscheidungen usw., steht dem allerdings in der Praxis oft und „gern“ entgegen. Tipp: zunächst „nur“ beobachten, ohne zu werten, nicht festlegen, abwarten, nicht zu früh festlegen, gefühlte Unsicherheit aushalten. Grundsätzlich lässt sich dies wenn auch mit Aufwand erlernen und verbessern.
Ein bewährter Klassiker, mit komplexen, bedrohlichen, unerwarteten Situationen umzugehen, ist das FOR-DEC-Schema, das ursprünglich aus dem Pilotentraining im Flugsimulator stammt. Das Handlungmuster umfasst diese Schritte:   Phase Leitfrage F Facts Welche Situation liegt vor? O Options Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es? (nicht vorschnell ausschließen!) R Risks & Benefits Welche Risiken, welche Vorteile haben die einzelnen Möglichkeiten -   kurzes Innehalten – Trennen der Analyse vom Entscheidungsprozess (aber nicht zu lange nach der „optimalen“ Lösung suchen) D Decision Welche Handlungsmöglichkeit wird ausgewählt? E Execution Ausführen der gewählten Option C Check Führt das Ausführen der Option zum gewünschten Effekt?   Erfahrungen aus dem Pilotentraining zeigen, dass bei ausreichend Training dieses Musters trotz hohem Zeit- und Komplexitätsdruck sowie Unsicherheit bessere Entscheidungen getroffen werden können.