Ansichten eines erfolgreichen Olympia-Coaches

06.03.2015 | 10:47 Uhr

Im Leistungssport trachten Trainer wie Forscher ständig nach erfolgreichen Trainings- und Trainererfahrungen, um weitere Leistungsverbesserungen zu ermöglichen. Einzelfallstudien sind eine kraftvolle Möglichkeit, danach zu forschen. Jim Wang, Sportpsychologe an der Kennesaw State University (Georgia, USA), nutzte diese Methode, um ein Bild von Liu Guoliang (China) und seinen Positionen zu machen. Liu war zunächst äußerst erfolgreicher Tischtennisspieler, u.a. Olympiasieger 1996 und Weltmeister 1999, und wurde danach ein Top-Trainer, u.a. zehn Jahre lang verantwortlicher Olympia-Headcoach für die chinesischen Männer und seit 2013 Chief Head Coach für das Team beider Geschlechter.
Für die Befragung des Coaches wurde ein schriftlicher Fragebogen genutzt. Dieser wurde in mehreren Schritten von verschiedenen Experten konstruiert und bearbeitet, sowohl inhaltlich und testmethodisch als auch sprachlich (mit Übersetzungen durch weitere Experten vom Englischen ins Chinesische sowie dann – mit den Antworten – wieder zurück), so dass von einer vom Verfahren nachvollziehbaren Qualität der Befragung auszugehen ist. Die Antworten wurden nach üblichen Verfahren der Textanalyse verdichtet und letztlich noch einmal vom befragten Trainer gegengelesen. Im vorliegenden Beitrag finden sich insgesamt 39 Fragen und ihre Antworten ausführlich dargestellt, diese Details können Sie bei Bedarf im Originalbeitrag (siehe Link) gern nachlesen.
Führungsstil: Liu nutzt situativ sowohl einen autoritäten als auch einen demokratischen Führungsstil. Dafür muss er als Erstes die Sportler respektieren, dann werden sie auch ihn respektieren. Der Trainer fordert starke Teamdisziplin und Teamverhalten ein: die Sportler müssen für ein positives Teammilieu Teamregeln und Grundsätze strikt einhalten. Dies sieht er als Voraussetzung an, um ein Team erfolgreich zu machen, ihnen sowohl Zuwendung als auch Respekt innerhalb und außerhalb des Trainings zukommen zu lassen. Dies ist die Basis, um auch Sichtweisen der Sportler aufnehmen und in seine Entscheidungsprozesse einbeziehen zu können.
Aufbau und Befugnisse im Olympiateam: hier gibt es deutliche Unterschiede zu westlichen Teams. Den höchsten Rang hat der Teamdirektor, der vom Olympischen Komitee eingesetzt und gegenüber der Partei verantwortlich ist. Er hat zwar keinen direkten Einfluss auf sporttechnische Entscheidungen, z.B. Auswahl der Sportler, Trainingsmaßnahmen usw., kann aber Vorschläge gegenüber Trainern und Spielern machen. Im Trainerstab gibt es verschiedene Funktionen, z.B. Head Coaches männlich und weiblich, Techniktrainer und weitere Spezialisten mit jeweils klarer Verantwortung für den jeweiligen Teilbereich. Liu selbst ist in seiner Funktion als Chief Head Coach über den beiden Cheftrainern angeordnet und kontrolliert und steuert das Gesamtbild und die Zusammenarbeit aller Trainer.
Teambuilding: Tischtennis als Individualsportart zeigt eine andere Gruppendynamik als Teamsportarten. Liu sieht dennoch Teamwork und Zusammenhalt als Erfolgsbasis. Zu große innere Konflikte würden die Mindsets der Spieler unterspülen und einen „zerstörerischen“ Effekt haben. Deshalb legt er großen Wert darauf, realistische und praktikable Teamregeln und –ziele zu etablieren, Teamwettkampfmechanismen unterstützen auch die intrinsische Motivation. Den Spielern muss bewusst sein, dass ihr „Überleben“, ihre Entwicklung und ihre Rolle im Team auf den Wettkampferfolgen des gesamten Teams basieren. Das Auftreten von Problem ist normal, aber er toleriert keinen Athleten, der dauerhaft Teamregeln und –ziele verletzt, solche Spieler werden konsequent sanktioniert. Solche disziplinarischen Regeln mögen auf den ersten Blick wenig human sein, Liu sieht aber, dass diese in Verbindung mit klarer Kommunikation die besten Ergebnisse zeigen.
Mentales Training: Liu meint, dass die psychische Kontrollfähigkeit der Sportler ein entscheidender Faktor für Höchstleistung ist, und er betont besonders die Bedeutung des psychologischen Trainings, um den Spielern zu helfen, ihre Konzentration auch während kritischer Momente im Wettkampf aufrechtzuerhalten. Er glaubt fest daran, dass, wenn ein Spieler den hohen psychischen Druck in kritischen Situationen aushalten, dieser auch in der Lage ist, erfolgreich in Wettkämpfen auf höchstem Niveau zu bestehen. Im Training nutzt er deshalb sorgfältig die Prinzipien von Belohnung und Sanktion, um das Wettbewerbsniveau zu steuern. Außerdem entwickelt er Selbstregulations- und präzise Selbsteinschätzungsfähigkeit der Spieler vor dem Wettkampf, um sie zu passender Selbsteinschätzung, richtiger Wettkampfeinstellung, passender technisch-taktischer Vorbereitung und effektivem Warm-Up mit hohem Selbstvertrauen zu befähigen. Liu ist überzeugt, dass dies ein entscheidender Faktor psychologischen Trainings ist, der direkt mit dem Erfolg in Verbindung steht. Angeborene Fähigkeiten spielen sicher eine Rolle, sind aber durch Training entwickelbar. In der Hauptsache sind für die Entwicklung die Trainer (in intensiver Kenntnis der jeweiligen Gesamtsituation) verantwortlich, Psychologen sieht er eher in der Beraterrolle.
Technische und physische Faktoren: Es gab mehrfach Regeländerungen im Tischtennis, die rechtzeitig zu Veränderungen und Entwicklungen im Training und im Verständnis des Spiels umzusetzen waren, mit entsprechendem Verständnis bei Trainern und Spielern. Unabhängig von diesen Regeländerungen wird der andauernde chinesische Erfolg vor allem auf die Faktoren eines gut entwickelten nationalen Sportsystems, starker Trainer und eines umfangreichen Wettkampfsystems zurückgeführt. Aus Trainingsperspektive sind besonders die Entwicklung fortschrittlicher Systeme, eines fortschrittlichen Spiels sowie innovativer Trainingsmethoden entscheidend für andauernden Erfolg. Kontinuierliche Anregungen aus der Sportwissenschaft unterstützen dies. Liu erwartet, dass Geschwindigkeit, Kraft und „spin“ Hauptkomponenten in der Entwicklung künftigen Trainings sein werden, ebenso wie eine stärkere Individualisierung.
Persönliche Faktoren als Head Coach: Liu´s Fähigkeiten basieren bei weitem nicht nur auf einer akademischen, formalen sportwissenschaftlichen Ausbildung, sondern vor allem auch auf einer druchgängigen eigenständigen Auseinandersetzung mit der Sportwissenschaft. Er ist bemüht, Theorie und Praxis zu verbinden, immerwährend innovative Strategien und Fähigkeiten voranzutreiben und auf Höchstleistungen auszurichten. Auch wenn es viele Faktoren gibt, so glaubt Liu ganz sicher, dass seine Leidenschaft und Liebe für den Beruf, die Profession, die bedeutendsten Erfolgsfaktoren sind. Engagement, „niemals satt zu sein“, Herausforderungen stets anzunehmen und der Mut, Neues zu versuchen, sind weitere unverzichtbare Faktoren.

Wang, J.(2014): A Case Study of a Successful Olympic Coach´s Perspectives.In: International Journal of Sport Studies Vol. 4 (1) 114-125