Mehr Mut zur Menschlichkeit

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16.01.2020 | 13:42 Uhr

Andreas Schnabel, Geschäftsführer des Instituts für BioLogik der Führung und Fortbildung und langjähriger Dozent an der Trainerakademie Köln, hat mit seinem Kollegen Klaus Dehner einen Artikel in der FAZ veröffentlicht, den sie uns hier freundlicherweise zur Verfügung stellen. Er ist im Kontext von Unternehmens- und Personalführung enstanden, ist aber genauso gut auch auf den Leistungssport anwendbar. Es geht um einen wichtigen Schritt zum Erfolg, nämlich den Aufbau von persönlichen und bedeutungsvollen Beziehungen zu den eigenen Mitarbeitern.

Mehr Mut zur Menschlichkeit.
Von Andreas Schnabel, Klaus Dehner

Wer an Unternehmens- und Personalführung denkt, der denkt an harte Kennzahlen, strategische Planung, optimierte Prozesse und an Personal, das als Human Ressource funktionieren soll. Doch vieles spricht dafür, den Schritt vom Management zum Menschment zu gehen.

Management

Erfahrene Führungskräfte wissen, dass das Analysieren und Planen, das Vorgeben von Zahlen und Zielen und die darauf folgende Kontrolle, ob sie eingehalten beziehungsweise erreicht worden sind, nicht reichen, um erfolgreich zu sein. So äußerte sich eine langjährige Führungskraft der Automobilindustrie im Januar 2018 im „Harvard Business Review“: „Leadership today is about unlearning management and relearning being human“ („Führung heißt heute, Management zu verlernen und Menschlichkeit wieder zu erlernen“). Der Manager formuliert eine zentrale Erkenntnis seiner Führungstätigkeit: Nicht auf dem Wege festgeschriebener Workflows, vorgegebener Arbeitsanweisungen und automatisierter Prozesse wird der Unternehmenserfolg geschaffen; das gelingt vielmehr mit Hilfe der Fähigkeit und Bereitschaft, persönliche und bedeutungs-volle Beziehungen zu Mitarbeitern aufzubauen und dadurch eine langfristige und gute Qualität des Miteinanders zwischen Chef und Mitarbeiter zu etablieren.

Wenn Unternehmenslenker die Aufforderung, „Management zu verlernen und Menschlichkeit wieder zu erlernen“, für ihren Unternehmenserfolg nutzen wollen, hat das weitreichende Konsequenzen für den Betrieb. Es müssen vorherrschende Arbeitsformen auf den Prüfstand gestellt und unter dem neuen Aspekt der Menschlichkeit bewertet werden. Menschment als Grundsatz und Methode führt zu ganz neuen Entwicklungen und Möglichkeiten. Es verlangt von den verantwortlichen Führungskräften den Mut, Arbeitsabläufe zu hinterfragen und Zutrauen in die Leistungspotentiale ihrer Mitarbeiter zu fassen.

Menschment

Die Grundlage des Menschment bildet ein positives und realistisches Menschenbild nach den Erkenntnissen der Sozial- und Verhaltensforschung: Menschen bringen von ihrer Natur her ein hohes Maß an Motivation und Leistungsbereitschaft mit. Sie wollen Herausforderungen bestehen und dabei Flowerlebnisse haben, sie möchten Anerkennung und Bindung erfahren, damit sie das Gefühl der Wertschätzung und Zugehörigkeit erleben.

Der Wunsch des Menschen nach Lebensqualität und sinnvoller Betätigung endet nicht vor Werkstoren und Büroschleusen, sondern er ist der Ausgangspunkt für die Gestaltung von Arbeitsabläufen. Mitarbeiterführung mit Mut zur Menschlichkeit bedeutet, die betriebliche Organisation an den Verhaltensprogrammen und der sozialen Ausstattung der Mitarbeiter auszurichten. Erfolg garantiert, das zeigt schon der Blick auf unsere evolutionäre Entwicklung.

Um zu überleben, mussten Menschen immer Neues lernen, die Intelligenz der Gruppe nutzen und dabei die Talente Einzelner individuell so einsetzen, dass sie – optimal koordiniert – zum erfolgreichen gemeinsamen Handeln taugten. So fanden sie immer wieder Wege, mit Veränderungen umzugehen, ihre Zukunft zu gestalten und ihr Leben zu verbessern.

Changemanagement, Selbstorganisation und Innovation liegen in unseren Genen. Wir können auf diese evolutionär angelegten Kompetenzen vertrauen, weil es dem Menschen bislang immer und immer wieder gelungen ist, sich an die vielen und teilweise rasanten Veränderungen anzupassen und damit eine nunmehr viele Millionen Jahre andauernde Erfolgsstory zu schreiben. Dass sich die Anwendung dieser evolutionären Gesetzmäßigkeiten auch unter den Marktbedingungen des 21. Jahrhunderts bewährt und den Überlebenserfolg sichert, zeigt folgendes Beispiel.

Der Wandel

Für Hema, den letzten deutschen Bandsägenhersteller mit Sitz im schwäbischen Frickenhausen, bedeutete der Großauftrag aus Russland die Chance, aus einer mehrjährigen ungünstigen Geschäftsentwicklung mit neuem Schwung hervorzugehen. Die von den Kunden gewünschte Einzelfertigung hatte den Standardmaschinenbauer schon in vorausgegangenen Projekten organisatorisch überfordert und dazu geführt, dass Termine nicht eingehalten wurden. Es fehlte daran, schnell und flexibel auf veränderte Bedingungen zu reagieren und über die Abteilungsgrenzen hinweg rasch praktikable und kosten-günstige Lösungen zu entwickeln. Der Geschäftsführung stellte sich die alles entscheidende Aufgabe, wie sie gute Zusammenarbeit, Termintreue und Flexibilität im Team herstellen konnte, um den rettenden Großauftrag zu erfüllen.

Der neue Projektmanager sollte es richten. Zunächst lernte er die Abläufe in der Produktion und Montage kennen; auf Grundlage dieser Kenntnisse begann er ein Projekthandbuch auszuarbeiten. Die darin beschriebenen Workflows sollten garantieren, dass die Mitarbeiter im Projekt einerseits Sicherheit durch Standards und Regeln erhielten und andererseits flexibel auf neu entstehende Veränderungen reagieren konnten. Doch je länger der Projektmanager plante, desto weniger war er davon überzeugt, dass die Vorgaben aus dem Handbuch das Team zum erfolgreichen gemeinsamen Handeln bringen konnten. Nicht nur im Rahmen moderner Konzepte von agiler Führung und New Work, sondern auch in seiner Tätigkeit im Musikverein und in der Sportmannschaft hatte er die Erfahrung gemacht, dass der Erfolg des gemeinsamen Handelns nicht von minutiös geplanten Prozessen abhing, an die sich die Mitarbeiter anpassen sollten.

Worauf es vielmehr ankam, war, sich auf die Menschen zu besinnen und mit ihnen gemeinsam die Prozesse so zu gestalten, dass sie – sinnvoll und nachvollziehbar – dem Kundennutzen dienen. Also verwarf er zum Leidwesen der Geschäftsführung das Projekthandbuch und gestaltete in wenigen Monaten gemeinsam mit der Leitung und den Mitarbeitern die Struktur des Unternehmens so um, dass sie menschenkompatibel wurde.

Die Ergebnisse können sich sehen lassen; so wurde der Lieferverzug von sieben auf weniger als einen Tag gesenkt, die Durchlaufzeiten um 12 Prozent reduziert und die Produktivität um 17 Prozent gesteigert. Und vor allem: Aufgrund der neu eingeführten Selbstorganisation, bei der zugunsten stabiler Teamregeln die herkömmliche Hierarchie abgeschafft worden war, haben sich die Teammitglieder die Ziele zu eigen gemacht, sie gemeinsam verfolgt und für deren Erreichen Verantwortung übernommen. Hema hat 2015 dafür den von Xing ausgelobten Sonderpreis des New Work Award gewonnen.

Mut zur Menschlichkeit

Der Ansatz ist einerseits radikal, denn er hinterfragt die bestehende Arbeitsorganisation; andererseits ist er evolutionär, denn unter der Leitperspektive der Menschlichkeit entwickeln die Akteure Neue Formen der Zusammenarbeit – selbstorganisiert, verbindlich, kundenorientiert. Was dadurch gewonnen wird? Formale Aufgaben, Abläufe und Arbeitsanweisungen verhindern in aller Regel Eigenmotivation, Verantwortungsübernahme und Innovationfreude. Der daraus resultierende Dienst nach Vorschrift führt zu einem Verlust an Möglichkeiten und Chancen. Stellt man das Unternehmen im Gegensatz dazu auf eine Menschmentbasierte Organisation um, so entsteht Lust an Leistung in Form von Eigeninitiative, Problemlösungsbereitschaft und Engagement.

Leitfragen für das Menschment lauten:

  1. Sind die implementierten Prozesse und Abläufe dazu geeignet, das Bedürfnis der Mitarbeiter nach Eigeninitiative, Motivation und Sinn zu erfüllen?
  2. Ist die Führung bereit und in der Lage, die innere Beteiligung, Entscheidungsfreude und Verantwortlichkeit der Mitarbeiter zu aktivieren?
  3. Schafft das Unternehmen immer wieder Formen gemeinsamen Handelns, die Bindung, Vertrauen und Selbstorganisation stärken?

Unternehmen, denen es gelingt, ihre Organisation und die Arbeit an der Maßgabe des Menschlichen auszurichten, werden auch in Zukunft Talente gewinnen, ihre Mitarbeiter motivieren und im Wettbewerb um die besten Köpfe ihre Leistungsträger halten.

Die durch Digitalisierung, KI, Globalisierung und andere Faktoren hervorgerufenen Veränderungen, die zuweilen auch als zerstörerisch empfunden werden, bieten zugleich große Chancen. Diese ergreifen wir am besten dadurch, dass wir die Verhaltens- und Leistungsprogramme des Menschen in den Fokus der Unternehmensgestaltung stellen.

Menschment als Grundsatz und Methode gibt den Mitarbeitern die Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung, zum gemeinsamen Handeln und zur Identifikation mit der eigenen Arbeit. Auf diese Weise steigt ihr Wert auf einen neuen Level. Denn es ist nicht abzusehen, dass Computer oder Automaten dem Menschen in einer entscheidenden Fähigkeit den Rang ablaufen werden: in der Bewältigung von Komplexität.

Frithjof Bergmann, der Erfinder des Konzepts „New Work“, hat den Trend folgendermaßen beschrieben: „Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen. Die Arbeit, die wir leisten, sollte nicht all unsere Kräfte aufzehren und uns erschöpfen. Sie sollte uns stattdessen mehr Kraft und Energie verleihen.“

Andreas Schnabel leitet das Kolping Bildungswerk in Karlsruhe. Klaus Dehner ist wissenschaftlicher Studienortleiter an der Internationalen Berufsakademie Heidelberg im Studiengang Sozialpädagogik & Management. Beide sind zudem Geschäftsführer des Instituts für BioLogik der Führung und Fortbildung bei der Prof. von Cube & Kollegen GmbH. Homepage und Kontakt: www.menschment.com