Schnelle Muskelfasern, die auch noch hoch oxidativ sind - geht das zusammen?
aus der aktuellen Ausgabe der Leistungssport von Prof. Dr. Arnd Krüger
Über Muskelfasern und deren Stoffwechsel schien man eigentlich ganz viel zu wissen. Jetzt gibt es aber neue Erkenntnisse, die auf die Dauer zu Veränderungen in Lehrbüchern führen werden. Die meiste Kenntnis über die Zusammensetzung der Muskelfasern haben wir aus Tiermodellen, vor allem von Mäusen. Menschen laufen aber auf zwei Beinen und bei den meisten Sportarten werden die Beine stärker oder zumindest anders benutzt als die Arme. Sportler, vor allem Spitzensportler, tun sich schwer, Muskelbiopsien zu ertragen, da es sich eben doch jedes Mal um einen Einstich ins Gewebe und damit eine, wenn auch kleine, Narbe handelt.
Skelettmuskeln setzen sich aus motorischen Einheiten zusammen, die aus Muskelfasern mit denselben Charakteristika bestehen. Ein Muskel ist dabei eine Einheit aus verschieden schnellen oder langsamen Fasern, die in ihrer Summe die Gesamtcharakteristik des Muskels ausmachen.
Ein Faserbündel lässt somit einen vorherrschenden Typ erkennen, funktionell und histochemisch ist es aber dennoch heterogen und trainier-, das heißt veränderbar.
Im Allgemeinen unterscheiden sich Muskelfasern auf der Grundlage
- des kontraktilen Apparats: MyosinSchwerketten-lsoformen (myosin heavy chains, MHC) bzw. ATPase-lsoformen; bisher sind zehn verschiedene MHCs beim Menschen identifiziert worden;
- der kontraktilen Charakteristika: Typ II vs. Typ 1 (fast vs. slow twitch) und 3. der Verwendung von Calciumionen und des metabolischen Profils (oxidativ/glykolytisch), wobei die jeweilige MHC-lsoform bisher als das wichtigste Unterscheidungskriterium galt.
Je nach funktioneller Anforderung werden verschiedene MHC-lsoformen auf- oder umgebaut, sodass die Zusammensetzung der Faser sich langsam ändert, bis schließlich eine Veränderung des Fasertyps nachgewiesen werden kann. Umbauten von schnellen zu langsamen Muskeln sind bei Sportlern durch Ausdauertraining nachgewiesen worden, von langsamen zu schnellen bisher nicht. Die metabolische Kapazität der Muskelfaser hängt vor allem von ihrer Versorgung (Grad der Kapillarisierung), der Verfügbarkeit von Substraten, der Anzahl der Mitochondrien sowie der Fähigkeit des sarkoplasmatischen Retikulums ab, das der Speicherung von Calciumionen dient.
Letztere werden beim Eintreffen eines Aktionspotenzials in das Zytoplasma der Muskelzellen ausgeschüttet und diffundieren zwischen die Aktin- und Myosinfilamente der Muskelfibrillen. Hier lösen sie ein lneinandergleiten der Filamente und damit die Kontraktion der Muskelfaser aus.
Im Wesentlichen ist davon auszugehen, dass in der gesamten für die Bewegung zuständigen Muskulatur des Körpers dieselbe Verteilung zwischen Typ 1- und Typ 11-Fasern vorliegt, auch wenn die Belastung von Armen und Beinen z. B. beim Kanufahren deutlich verschieden ist.
Eine der muskulär anspruchsvollsten Sportarten ist der Skilanglauf. Es müssen in Abhängigkeit vom Gelände unterschiedliche Techniken sowohl der Arme als auch der Beine beherrscht werden, der Vortrieb erfolgt nicht nur mit den Beinen, sondern gerade bergauf mit Doppelarmschwung und großen Kraftausdaueranteilen der Arme. Durch eine Ausweitung der Disziplinen ist auch nicht mehr ein einheitliches Tempo gefragt, sondern durch Massenstart, Verfolgungsrennen, Sprint etc. müssen auch wechselnde Tempi, eine Wiederholungsausdauerfähigkeit bei mehreren Rennen am Tag und taktisches Geschick beherrscht werden. Durch eine wissenschaftlich begleitete Trainingspraxis, Ganzjahrestraining, bessere technische Ausrüstung und zusätzliches Krafttraining ist auch die Renngeschwindigkeit insgesamt schneller geworden.
Mit einem hochkarätig zusammengesetzten skandinavischen Wissenschaftlerteam um den inzwischen verstorbenen Bengt Saltin ist es nun erstmalig gelungen, bei Top-Skilangläufern die Auswirkung der komplexen muskulären Situation im Skilanglauf näher zu beleuchten und damit eine deutliche Veränderung des bisherigen Kenntnisstandes einzuläuten.
In der Untersuchung von Ortenblad, N., Nielsen, J., Boushel, R., Söderlund, K., Saltin, B. und Holmberg, H. C. (2018) "The muscle fiber profiles, mitochondrial content, and enzyme activities of the exceptionally well-trained arm and leg muscles of elite cross-country skiers" ging es zunächst um die Frage des Zusammenhangs der MHC-lsoform und des metabolischen Profils in den Armen (M. triceps brochii) und den Beinen (M.vastus lateralis) sowie der Auswirkung des Trainings auf die Muskelfasern in Armen und Beinen. Hierzu wurden zehn norwegische Skilangläufer, von denen acht an Weltcuprennen teilgenommen hatten (1 Weltcupsieg), analysiert und auch Biopsien gemacht. Sie hatten im Durchschnitt seit 11 Jahren trainiert, waren 22 ± l Jahre alt, 181 ± 2 cm groß und 79 ± 8 kg schwer. Ihre V02max betrug 5,37 ± 0,46 l/min (69 ± 5 ml/kg/min), der Hämatokrit 47 ± l % und das Hämoglobin 155 ± 2 mmol/l. Der Anteil der Myosin-Schwerketten-lsoformen-1 (MHC-1) war in den Beinen signifikant höher (58 ± 2 % [34-69 %]) als in den Armen (40 ± 3 % [24-57 %]), obwohl das Volumen der Mitochondrien (Beine: 8,6 ± 1,6 %, Arme: 9,0 ± 2,0 %) und die durchschnittliche Anzahl der Kapillargefäße (Beine: 5,8 ± 0,8, Arme: 6,3 ± 0,3) keine signifikanten Unterschiede aufwiesen.
Auch die maximale Citratsynthaseaktivität (CS) war in Armen und Beinen gleich. Dagegen fiel die Kapazität der 3-HydroxyAcyl-CoA-Dehydrogenase (HAD) in den Beinen signifikant (p < 0,05) um 52 % höher aus als in den Armen, was auf eine bessere Fähigkeit der Verstoffwechselung von Fettsäuren in den Beinen hinweist. Das kann jedoch nicht auf eine andere Muskelfaserstruktur hindeuten, da sich diese nicht unterschied. Die HAD-Aktivität korrelierte nicht sehr stark, aber statistisch hoch signifikant, mit der MHC-1- (r2 = 0,32, p = 0,011), nicht jedoch der CS-Aktivität.
Bei diesen hoch (kraft)ausdauertrainierten Spitzensportlern stimmen somit alle bisherigen Kenntnisse über die Muskelfasern nicht (mehr), da die Kapillarisierung und das Mitochondrienvolumen in den Typ-II-Fasern wenigstens genausogroß waren wie im Typ 1. Somit besteht hier wider Erwarten ein Unterschied zwischen dem Fasertyp und der metabolischen Kapazität.
Was bedeutet dies für die Praxis? Die Auswahl in Ausdauersportarten nach Muskelfaserstruktur verliert an Bedeutung. Was wir einer deutschen Langstreckenläuferin "Krüger, A. (1988): Beratung des Sportlers beim Disziplinwechsel, Leistungsport, 18 (2), 32" damals aufgrund der hohen Anzahl an schnellen Muskelfasern geraten haben, könnte man nun ohne eine systematische Analyse der MHC-1 nicht mehr machen. Auch ist die Trainingswirkung noch spezifischer, als bisher angenommen wurde. Wenn Arme und Beine in Training und Wettkampf anders eingesetzt werden (beim Skilanglauf die Arme mehr in Form von intervallmäßigerer Kraftausdauer, die Beine mehr auf gleichmäßig hohem Niveau), dann hat das auch Auswirkungen auf den Stoffwechsel von Armen und Beinen.
Leistungstests nur mit den Beinen (z. B. Fahrradergometer) in Sportarten, bei denen man Arme und Beine intensiv benutzt, werden damit für den Leistungssport noch fragwürdiger. Zwar lässt sich wegen der Größe der Muskulatur noch immer die V02max so einfach bestimmen, aber diese ist eben nur ein Paramater. In der Konsequenz müsste man sich nun auch bei Sportarten wie z. B. Turnen die Rumpfmuskulatur genauer ansehen, denn wenn Arme und Beine sich durch Training schon anders entwickeln, dann müsste das bei der Rumpfmuskulatur erst recht der Fall sein.