"Talente im Leistungssport" 15./16. Mai 2012 in Potsdam
Update 16.07.2012: Vortrag von Prof. Hohmann jetzt ebenfalls online!
„Talente im Leistungssport“ – so hieß ein Workshop der Fachhochschule für Sport & Management Potsdam (FHSMP) der Europäischen Sportakademie Land Brandenburg (ESAB) am 15./16. Mai 2012 in Potsdam, bei dem die Trainerakademie Köln des DOSB Mitveranstalter war. Im Mittelpunkt des ersten Plenums standen Vorträge aus der aktuellen wissenschaftlichen Projekten zum Talent-Thema .
Prof. Dr. Andreas Hohmann (Universität Bayreuth) gab einen Überblick über Stand der Theoriebildung und Forschung zum Talent-Thema. Er tendiert eher zum „Begabten-Ansatz“ und propagiert entsprechend eine frühzeitige, umfassende Sichtung im Grundschulalter und entsprechend frühem Förderbeginn. Zur Praxis führt er einige kritische Anmerkungen an, u.a. mangelnde Qualität der Förderung im Grundschulalter (Mitarbeiter oft nicht adäquat qualifiziert), das Phänomen des Relative Age Effect oder eine Talenttestung lediglich innerhalb der Sportarten, nicht aber übergreifend mit Empfehlungsmöglichkeiten für Sportarten. Als positiv bzgl. des letztgenannten Aspekts führt er kommunale Aktivitäten wie in Fulda oder Düsseldorf an. Interessant ist, dass Hohmann einerseits auf Basis seiner grundlegenden Philosophie zwar eine gleich hohe Gewichtung von Talent und Training (bzgl. konditioneller Fähgkeiten) präferiert, aber durchaus selbstkritisch auf Basis einiger Ergebnisse, wie sich im Rückblick heutige Top-Leister entwickelt haben, die Frage stellt, ob nicht zumindest in manchen Fällen Förderung doch einflussreicher sei als Begabung. Prof. Dr. Ditmar Wick (Universität Potsdam) stellte die Talent-Studie „Emotikon“ im Land Brandenburg. Auch hier geht es um die Talentsichtung in der Grundschule, dabei wurden Weiterentwicklungen aufgrund von Erfahrungen einer Vorgänger-Studei (Stark, 2001) einbezogen. Ähnlich wie auch von Hohmann vorgestellt, ist der Ansatz, alle Kinder zu erfassen und Empfehlungen für bestimmte Sportarten bzw. Ansprüche auszusprechen. Zum Teil liegen schon einige Längsschnittdaten über einige Jahre vor. Die Talentstabilität wird als relativ gering bezeichnet (je nach Merkmal unterschiedlich), ebenso ist eine Sportartenzuordnung relativ unsicher, so dass eher eine Erhebung allgemeiner Fähigkeiten sinnvoll ist. Festzustellen ist allerdings auch, dass der sportvereinsorientierter Organisationsgrad der auf Basis der Testergebnisse als talentiert Bezeichneten zu gering ist und auch eine deutliche Fluktuation zu bemerken ist. Dr. Antje Hoffmann (IAT Leipzig) stellte den Ansatz des Talent-Transfers als Ergänzung zum langfristigen Leistungsaufbau vor. Es geht also um „Quereinsteiger“. Zahlreiche internationale Beispiele stehen dafür, dass dies tatsächlich möglich ist. Dies trifft besonders auf „junge“ Sportarten (z.B. die neuen olympischen Wintersportarten) zu, aber nicht nur dort. Detailliert vorgestellt wurde ein systematisches Beispiel, wie in Australien im Skeleton aus einem Pool von 67 Interessierten innerhalb von anderthalb Jahren eine Olympia-Teilnehmerin gefunden und gefördert wurde. Überlegungen und Konzepte zu diesem Thema sind derzeit noch unsicher, aber wegen der genannten erfolgreichen Beispiele möglicherweise lohnenswert. Dabei sind viele Fragen in der Diskussion aber noch nicht geklärt: in welchen Fällen, unter welchen Bedingungen, in welchen Feldern ist ein solcher Transfer möglich, wie hat die Förderung („Talent-Transfer“ vs. „Deliberate Practice“) auszusehen, usw. Man darf gespannt sein… In drei anschließenden parallelen Arbeitskreisen zu den Olympischen Jugendspielen, zu Best Practice in der Praxis der Nachwuchsförderung und zu Frauen im Nachwuchs- und Leistungssport konnte dann jeder Teilnehmer seinen individuellen Interessen folgen. Aus dem Arbeitskreis zur Praxis des Nachwuchstrainings, dem der Berichterstatter beiwohnte, sind besonders wichtige und je nach Sportart durchaus beeindruckende Beispiele zu vermelden, aber auch typische Problemfelder. Besonders deutlich wurde bspw., dass ein langfristig erfolgversprechendes Nac hwuchstraining nicht nur sportlich richtig zu gestalten ist (u.a.: rechtzeitig, Voraussetzungstraining = Lerntraining – d.h. nicht nur „was“ sondern vor allem „wie“, fachlich fundiert), sondern schon bei der Sichtung die ganze Persönlichkeit des möglichen Talents (z.B. längere „Kennenlernphase“!) berücksichtigt und auch das ganze Umfeld frühzeitig einbezieht und sich darauf einstellt (bspw. Frühzeitiger Einstieg in Verbundsysteme, Berücksichtigung von Schule – mit allen Abschluss-Möglichkeiten). Beeindruckend auch das Beispiel einer „ganz normalen“ Grundschule, die aus Eigeninitiative heraus eine umfassende sportliche Entwicklung anregt und bietet. Andererseits zeigten sich aber auch diverse Problemlagen, bspw. im Kunstturnen in der Kontinuität der Betreuung gerade der Jüngsten (Personalproblematik) oder in einem Landesfachverband die all zu häufige Beratungsresistenz und der Mangel an Kooperationsbereitschaft in den Vereinen. Der abschließende Plenumsblock wurde eingeleitet von Dr. Ladislav Petrovic, Generalsekretär des International Council for Coach Education ICCE, der über die internationalen Entwicklungen in der Trainerqualifizierung und dem Tätigkeitsfeld Trainer berichtete sowie die Aktivitäten des ICCE erläuterte. Hier ist ja die Trainerakademie in einigen Projekten beteiligt, und wir berichten regelmäßig aus diesen Aktivitäten. Ein weiterer Schwerpunkt war die Vereinbarkeit von Spitzensport und Beruf bzw. Ausbildung/Studium, hier wurden sowohl Erhebungen an der FHSMP (D. Lindner und M. Kallischnigg) vorgestellt als auch intensiv auf dem Podium diskutiert, u.a. mit Studierenden der Trainerakademie.Datei