Turning Boys Into Men: The Incentive-Based System in Urban Meyer’s Plan to Win

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20.10.2016 | 11:35 Uhr

„Blue stands for child, which means ill-equipped, defiant, disinterested. So if you are in blue, we don‘t think very highly of you, and we make that very clear.“

Urban Meyer (* 10. Juli 1964 in Toledo, Ohio) ist ein amerikanischer Trainer und ehemaliger Spieler im Bereich des College Football. Er ist seit November 2011 Cheftrainer der Ohio State Buckeyes, nachdem er zuvor von 2005 bis 2010 in gleicher Position an der University of Florida sowie 2003/2004 an der University of Utah und 2001/2002 an der Bowling Green State University tätig war.
Mit den Ohio State Buckeyes gewann er den in der Saison 2014 als Playoff-Halbfinale ausgetragenen Sugar Bowl und anschließend auch das Playoff-Finale um die Landesmeisterschaft, sowie in der Saison 2015 den Fiesta Bowl. Darüber hinaus konnte er mit den Florida Gators in den Spielzeiten 2006 und 2008 zweimal das BCS National Championship Game und damit die nationale Meisterschaft sowie in der Saison 2009 den Sugar Bowl gewinnen. Mit den Utah Utes errang er zudem in der Saison 2004 den Fiesta Bowl.
Er zählt im College Football zu den erfolgreichsten Trainern der Gegenwart und wurde 2009 von den Zeitungen Sports Illustrated und Sporting News jeweils zum Trainer des Jahrzehnts gewählt.

Stephen Gavazzi ist Professor für Human Development und Family Science an der Ohia State University und gleichzeitig ihr Direktor. Er beschäftigt sich intensiv mit der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Anfang 2012 erschien ein Zeitungsartikel über Urban Meyer und über Meyers Herangehensweise der Spielerentwicklung im College. Meyer beschrieb darin seine auf Anreizen basierende Herangehensweise, die nicht nur auf das Gewinnen ausgerichtet war, sondern vor allem auch auf die Persönlichkeitsentwicklung seiner heranwachsenden Spieler. Das System ist auf den drei Farben Blau-Rot-Gold aufgebaut.

„Blue stands for child, which means ill-equipped, defiant, disinterested. So if you’re in blue, we don’t think very highly of you, and we make that very clear. And every freshman who comes into the program is blue, for example… … Guys who are red get nicer gear. If they want to change numbers, if they want to get a visor, if they want to move off campus, the answer for them then is maybe. You get up to gold, you do what you’ve got to do because gold means you’re a grown man. We don’t tell you when to study, things like that. Gold means you deserve to be treated like a man.“
(Urban Meyer, May, 2012).

Daraufhin beschloss Stephen Gavazzi Meyers Coaching- und Führungsstil in Hinblick auf die ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung näher zu untersuchen. Basierend auf bereits existierenden Artikeln und Materialien und persönlichen Gesprächen mit Urban Meyer und seinem Trainerstab entstand daraus der Artikel: „Turning Boys into Men: The incentive-Based System in Urban Meyer‘s Plan to Win“. Frei übersetzt: Die Verwandlung von Jugendlichen in Erwachsene: Das Belohnungssystem in Urban Meyers Erfolgskonzept.

In der Literatur finden sich bereits Studien zu erfolgreiche Trainern im Nachwuchsleistungssport, die in ihrer Philosophie nicht zwischen alleiniger Leistungsentwicklung und der Entwicklung der Persönlichkeit unterscheiden sondern versuchen immer beides gleichermaßen bei ihren Athleten zu entwickeln (Could, Collings, Lauer & Chung, 2007). Daß Nachwuchstrainer nicht nur in die Leistung ihrer Schützlinge investieren sondern auch in ihre Erziehung und Entwicklung als Mensch, wird auch von Denison (2015) bestätigt.

In diesem Kontext ist auch das Blau-Rot-Gold Belohnungssystem Urban Meyers zu betrachten. Es steht im Zentrum seines Erfolgskonzepts und wurde von ihm bereits auf seiner ersten Station als Nachwuchstrainer der Bowling Green State University Anfang der 2000er Jahre entwickelt und auf seinen weiteren Stationen verfeinert. Es ist ein umfassendes Motivationssystem, das nicht nur das Verhalten der Athleten auf dem Spielfeld berücksichtigt, sondern auch die Leistungen und das Verhalten abseits von Sport und Spielfeld z.B. in der Schule. Die Grundidee ist der etwas martialisch klingende Leitsatz:

„Act like a man and be treated like a man“.

Jeder Spieler startet dabei grundsätzlich und ausnahmslos im niedrigsten Level Blau, in denen die Spieler, die wenigsten Privilegien haben. Jeder neue Spieler, unabhängig von Position und Potential muss sich zunächst auf dieser untersten Stufe bewähren und zeigen, daß er die grundlegenden Werte des Teams verinnerlicht hat und diese auch lebt. Diese Werte sind klar definiert und beinhalten Verhaltensvorgaben wie z.B. Ehrlichkeit, Respekt vor Frauen, keine Drogen und keine Waffen.  Definiert wird die Kategorie Blau hauptsächlich über die schulischen Leistungen und das Verhalten im Unterricht und Training. Mitglieder im Level Blau müssen obligatorisch 8 Stunden Nachhilfe belegen und dürfen kein einziges mal unentschuldigt bei Pflichtterminen im Unterricht oder Training fehlen.

Um in Stufe Rot aufzusteigen, dürfen keinerlei schulische und disziplinarische Probleme vorliegen. Als Belohnung dafür, müssen dann z.B. in Stufe Rot weniger Stunden Nachhilfe absolviert werden und zweimaliges unentschuldigtes Fehlen pro Semester ist erlaubt.

Der Gold Status ist der höchste Level, den es innerhalb des Systems zu erreichen gibt. Wer auf der Gold Stufe ist, bekommt mehr Privilegien auf und neben dem Feld und wird als „erwachsen“ angesehen. Auf der schulischen Seite z.B. ist die Nachhilfe freiweillig und dreimaliges unentschuldigtes Fehlen während des Semesters ist erlaubt. In Urban Meyers Worten:

„These are the athletes who have shown they deserve to be treated like ‚grown men‘.“

Auf das Einhalten der Regeln im schulischen Bereich wird genau geachtet. Nichteinhalten der Regeln resultiert in Konsequenzen wie z.B. sogenannte „Super Tuesdays“, an denen der erste Unterricht bereits morgens um 6 Uhr beginnt  oder so genannte Nachtschichten, bei denen bevorzugt Freitag abends zwischen 20 Uhr und 22 Uhr gelernt werden muss. Das Nichteinhalten von Regeln im außerschulischen Bereich wird z.B. mit Zusatzaufgaben wie dem  frühmorgendlichen Saubermachen des Kraftraums sanktioniert.

Den neuen Spielern wird das Blau - Rot  - Gold System beim ersten Teammeeting im Halbjahr erklärt. In einem weiteren Teammeeting wird dann das komplette Wertesystem des Teams nocheinmal durchgesprochen, so daß alle Regeln stets transparent und allen Teammitgliedern bekannt sind.

Die Auf- und Abstiege zwischen den Stufen werden in regelmässigen Abständen im kompletten Trainerstab diskutiert und besprochen. Werden Spieler in ein höheres Level „befördert“, wird dies mit einer Aufnahmezeremonie vor dem kompletten Team gewürdigt.

Es gibt einige zusätzliche Initiativen, die das Blau-Rot-Gold-System unterstützen sollen. Das ist zum einen der sogenannte Champions Club. Leistungen, wie z.B. die hunderprozentige Pünktlichkeit bei allen Trainingsmaßnahmen oder keinerlei schulische/disziplinarische Probleme zu haben, werden im Champions Club vierteljährig beim einer gemeinsamen Veranstaltung gewürdigt. Das geschieht nicht nur verbal sondern auch mit anderen Belohnungen wie z.B. mit besserer Trainingskleidung für die nächsten Monate. Spieler jedes Levels können für besondere Leistungen im Champions Club gewürdigt werden. Häufige Würdigung im Championsclub führt automatisch auch zu einem Aufstieg innerhalb des Blau - Rot - Gold Ranking Systems.

Zum anderen gibt es ein sogenanntes „Leadership Comittee“,  das aus Mitgliedern des Trainerteams und ausgewählten aktuellen bzw. potentiellen Führungsspielern besteht. Dieses Gremium entscheidet z.B. über die Sanktionen bei disziplinarischen Verstößen innerhalb der Mannschaft.

Außerdem gibt es eine Art Mentorenprogramm bei dem erfahrenere Spieler den unerfahreren jüngeren Spielern als Mentoren zugeteilt werden. Schwarze Streifen, die von den Mentoren z.B. am Helm der jüngeren Spieler befestigt werden, zeigen solange den „Rookie“-Status dieses Spielers an, bis er durch sein Verhalten bei Training und Spiel gezeigt hat, dass er zukünftig ohne Mentor auskommmt und die Markierungen als eine Art Ritterschlag wieder entfernt werden können.

Gavazzi versucht das System Urban Meyers in einen pädagogischen Kontext einzuordnen und vergleicht das Blau-Rot-Gold-System mit den drei Phasen des Erwachsenwerdens, die von Heranwachsenden durchlaufen werden: Separation, Transformation und Reincorporation oder auch Trennung, Verwandlung und Wiedereingliederung. Diese drei Phasen des Heranwachsens fanden bereits in früheren Kulturen eine breite Akzeptanz um der Verwandlung vom Kind zum Erwachsenen Bedeutung und Struktur zu geben. Meist wurden der Übergang von einer zur anderen Phase durch bestimmte Riten begleitet. Das Konzept der drei Phasen beschreibt den Beginn des Erwachsenwerdens mit der Phase der Trennung vom Kindsein. Diese wird von der Phase der Unsicherheit (der Verwandlungsphase), die von einem „Vor und Zurück“ von mehr kindlichem Verhalten zu erwachsenerem Verhalten geprägt ist, gefolgt. Die dritte Phase ist die der Wiedereingliederung, die das Einbeziehen von neuen Einstellungen, Verhaltensmustern und Werten, die das Erwachsensein kennzeichnen, repräsentiert.

Das Blau - Rot - Gold Belohnungssystem spiegelt diese drei Phasen des Erwachsenwerdens wieder, indem die Spieler in eine der drei Kategorien Blau, Rot oder Gold, basierend auf Leistungs- und Reifekriterien eingestuft werden. Blau ist gleichzusetzen mit der Phase des Kindseins und der Trennung davon. Rot ist die Verwandlungsphase, in der die Spieler „zwischen“ Kindsein und Erwachsensein hin und her pendeln. Gold  ist letztlich die Phase des Erwachsenseins mit allen dazugehörigen Rechten und Pflichten.

Obwohl es einige Variationen des drei-Phasen-Modells des Erwachsenwerdens gibt, wird sein geschichtlicher Stellenwert, laut Gavazzi, verbreitet anerkannt. Gleichzeitig wird das komplette Fehlen derselben in modernen Gesellschaften häufig bedauert, da von Heranwachsenden häufig selbstkreierte Initiationsriten als eine Art Ersatz benutzt werden, die häufig mit Gewalt und Drogenmissbrauch einhergehen. So zumindest die Interpretation einiger Untersuchungen.  Passend dazu hat sich in der Sozialarbeit die Einführung von Übergangsriten, die die drei Phasen Trennung, Verwandlung und Wiedereingliederung begleiten, inzwischen bewährt.

Die Einordnung der heranwachsenden Spieler in eine der drei Stufen Blau -Rot-Gold geht für diese, sowohl mit Rechten, als auch mit Pflichten einher. Wenn die Spieler also die an sie gestellten Anforderungen auf und neben dem Feld erfüllen, erhalten sie auch mehr Rechte und werden belohnt. Das dahinterliegende System ist klar kommuniziert und für jeden Spieler transparent. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um ein leistungsförderndes Umfeld zu schaffen.

Reiferes Verhalten und das Übernehmen von Verantwortung werden gefördert und auch vom Trainerteam vorgelebt. In diesem Sinne übernehmen die Trainer auch männliche Vorbildsrollen. Die Idee das Team auch zu einem Teil der Familie der Spieler zu machen wird von Urban Meyer mehrmals erwähnt und betont. „The players remain part of that family long after graduation, and if they “become the best husbands and fathers they can be, then we have won at the game of life“ (Die Spieler bleiben auch nach ihrem Abschluss Teil der Football-Familie und wenn sie zu den besten Ehemännern und Vätern, die sie sein können werden, dann haben wir auch „das Spiel des Lebens“ gewonnen.)

Mit seinem starken Fokus auf positiver Verstärkung könnte man das Leistungssportsystem Meyers auch im Bereich der operanten Konditionierung verorten.  Huber (2013) nannte in seinem Artikel „Applying educational psychology in coaching athletes“ die vier Kategorien „social, learning, motor, and champion“, die Meyers Kategorien passend abbilden, als Voraussetzung für erfolgreiches Trainerhandeln mit einem solchen Ansatz. Allerdings wird von anderen Forschern ein hoher Einfluss extrinsischer Motivatoren der langfristigen Leistungsentwicklung gegenüber als kritisch eingestuft. (Bartholomew, Ntoumanis, & Thøgersen-Ntoumani, 2009). Wichtige Leistungsfaktoren, wie Eigenständigkeit und Zusammengehörigkeit würden dadurch unterdrückt. Von Gavazzi auf diese Problematik angesprochen, unterstreicht Meyer, dass extrinsische Motivation bei weitem nicht ausreicht aus den jungen Spielern reife erwachsene Persönlichkeiten zu machen.

„This is an extremely important point. When you do something that a good husband or a good father is supposed to do, you don’t have someone handing you a reward. That has to come from somewhere inside. And we try to help players develop that ability by repeatedly modeling the behaviors of good fathers and husbands.“

Gavazzi schließt mit einem Zitat, das die Wichtigkeit bestimmter Leitplanken und Strukturen für Jugendliche auf ihrem Weg zum Erwachsenensein betont.

„Society has provided children no rituals by which they become members of the tribe, of the community. All children need to be twice born, to learn to function rationally in the present world, leaving childhood behind.“ (Joseph Campbell, The Power of Myth)

Genau hier kann der Sport und jeder Trainer, der mit Jugendlichen arbeitet, einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung junger Heranwachsender leisten.

Den kompletten Artikel im Original, sowie alle Literaturangaben finden Sie im Anhang.