Vom Trainer zur Lehrperson: Konzepte für exzellente Coachingpraxis
Trainer*innen im Leistungssport sind weit mehr als reine Vermittlerinnen technischer oder konditioneller Inhalte. Sie übernehmen eine zentrale Rolle im Lernprozess der Athletinnen – als Lehrpersonen, als Begleiterinnen individueller Entwicklungswege und als Gestalter*innen komplexer Lernumgebungen.
Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist es hilfreich, sich mit einigen Theorien und Modellen aus Pädagogik und Lernpsychologie auseinanderzusetzen.
The Sport Psych Show ist ein englischsprachiger Fachpodcast, der sich genau mit damit auseinandersetzt. Gastgeber ist der britische Sportpsychologe Dan Abrahams, der in jeder Folge renommierte Wissenschaftler*innen, Trainer*innen oder Praktiker*innen aus dem Hochleistungssport zum Gespräch einlädt.
Wir haben einige passende Folgen zum Thema für euch herausgepickt.
1. Rosenshine’s Principles of Instruction – Effektives Trainieren und Coaching
Die „Principles of Instruction“ nach Barak Rosenshine beschreiben zehn evidenzbasierte Grundsätze erfolgreichen Unterrichtens. Dazu zählen u. a. das Wiederholen von Vorwissen, das schrittweise Einführen neuer Inhalte, ein hoher Anteil an aktiver Lernzeit sowie häufiges Feedback.
Diese Prinzipien lassen sich auch auf das sportliche Coaching übertragen. Sie unterstützen Trainer*innen dabei, Inhalte strukturiert, verständlich und lernförderlich zu vermitteln – ob bei Techniktraining, Taktikbesprechung oder Rückmeldeschleifen im Wettkampf.
Interview mit Prof. Chris Cushion und Dr. Ed Cope
2. Spectrum of Coaching Styles – Situationsgerechtes Trainerverhalten
Das „Spectrum of Teaching Styles“ wurde ursprünglich von Mosston & Ashworth für den Schulsport entwickelt und in den Leistungssport übertragen. Es beschreibt ein Kontinuum möglicher Trainerrollen – von stark direktiv bis vollständig athletenzentriert.
Dieses Spektrum hilft Trainer*innen dabei, ihren Stil bewusst zu wählen und situativ anzupassen – je nach Ziel, Lerntyp, Erfahrungsniveau und Kontext. Der bewusste Umgang mit der eigenen Steuerungstiefe wird somit zum professionellen Werkzeug.
Interview mit Dr. Shane Pill und Dr. Brendan SueSee
3. Challenge Point Framework (Extended) – Die richtige Herausforderung zur richtigen Zeit
Das erweiterte „Challenge Point Framework“ (Hodges & Lohse) stellt die These auf, dass Lernen besonders effektiv ist, wenn Aufgabenkomplexität und individueller Fähigkeitsstand optimal aufeinander abgestimmt sind. Eine zu geringe Herausforderung wirkt unterfordernd, eine zu hohe kann überfordern und Lernprozesse blockieren.
Für das sportliche Training bedeutet das: Die Gestaltung von Übungs- und Spielsituationen sollte so angepasst werden, dass Lernreize auf einem individuell optimalen Niveau gesetzt werden – insbesondere im Technik- und Taktiktraining.
Interview mit Prof. Nicola Hodges und Prof. Keith Lohse
4. Cognitive Load Theory – Lernen unter kognitiver Belastung
Die „Theorie der kognitiven Belastung“ (Sweller) untersucht, wie Lernprozesse durch die Kapazitätsgrenzen des Arbeitsgedächtnisses beeinflusst werden. Wenn Lernende mit zu vielen Informationen gleichzeitig konfrontiert werden, leidet die Verarbeitungsqualität – und damit das Lernen.
Trainerinnen profitieren von diesem Modell, indem sie Inhalte didaktisch klug aufbereiten, unnötige Belastungen vermeiden und schrittweise vorgehen. So wird der Fokus der Athletinnen auf das Wesentliche gelenkt – ein entscheidender Faktor für nachhaltiges Lernen.
Interview mit Dr. Jamie Taylor und Robin Taylor
5. Deliberate Practice – Gezieltes Üben mit System
Die Theorie des „Deliberate Practice“ (Ericsson) betont, dass hochqualitatives Üben zentrale Bedingungen erfüllen muss: klare Zielsetzung, unmittelbares Feedback, hohe Aufmerksamkeit und wiederholtes Arbeiten an Schwächen.
Im Leistungssport bedeutet das: Nicht jede Wiederholung bringt Fortschritt. Vielmehr müssen Trainingsreize gezielt geplant und Übungsformen mit hohem Anspruch und Rückmeldung versehen werden. Besonders im Techniktraining ist „gezieltes Üben“ ein Schlüssel zur Leistungsentwicklung.
Interview mit Dr. David Eccles
6. Teaching Games for Understanding – Spielverständnis als Lernmotor
„Teaching Games for Understanding“ (TGfU) ist ein spielbasierter Ansatz, der Lernende über reduzierte Spiel- oder Spielsituationen an taktische und technische Inhalte heranführt. Anstatt Technik isoliert zu trainieren, stehen Handlungszusammenhänge und Entscheidungsprozesse im Spiel im Vordergrund.
Diese Herangehensweise fördert Spielintelligenz, Situationsflexibilität und Antizipation – insbesondere im Mannschaftssport. Trainer*innen erhalten ein methodisches Gerüst, um spielerische Lernprozesse systematisch zu steuern.
Interview mit Dr. Stephen Harvey
7. Antizipation und Entscheidungsfindung – Wahrnehmen, Denken, Handeln
Die Fähigkeit zur schnellen und richtigen Entscheidung in Spielsituationen ist ein zentrales Unterscheidungsmerkmal auf hohem sportlichem Niveau. Studien zeigen, dass frühes Erkennen von Mustern, taktisches Wissen und Spielpraxis zentrale Einflussfaktoren sind.
Trainer*innen können diese Fähigkeiten fördern, indem sie wahrnehmungsnahe Übungsformen, Videoanalysen oder komplexe Spielformen mit Entscheidungsdruck einsetzen. So wird aus reiner Reaktion ein kognitiv vorbereitetes Handeln.