dvs-Tagung 2015: "Krafttraining: Kraftvoll durchs Leben"
Rund 160 Teilnehmer aus sieben Nationen fanden sich vom 28. bis 30. Mai 2015 zur Jahrestagung der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft dvs, Sektion Trainingswissenschaft, zu dieser Tagung ein, die von der Universität Potsdam in beeindruckender Kulisse gegenüber dem Neuen Palais am Rande des Parks Sanssouci ausgerichtet wurde.
Vier Hauptvorträge von Prof. Hortobágyi (Groningen/NL, „Resistance training in old age“), Prof. Behm (St. Johns/CAN, „Resistance training in young athletes“), Prof. Arampatzis (Berlin, “Longitudinale Adaptation des Muskels durch exzentrisches Krafttraining”) sowie H. Hoffmann (Donaustauf, „Sportartspezifische Anpassungen des neuromuskulären Systems: Konsequenzen für Training, Prävention und Therapie“) bildeten die Hauptachse der Tagung. Dazu kamen ein Satelliten-Symposium „Krafttraining im Nachwuchsleistungssport“ mit der Vorstellung der aktuell laufenden KINGS-Studie, zehn Arbeitskreise sowie eine Poster- und eine Industrieausstellung. Bei dieser Fülle an Informations- und Austauschmöglichkeiten lässt sich der Inhalt der Veranstaltung auch nicht näherungsweise umfassend hier darstellen. Das Team um Prof. Granacher hat allerdings einen guten Service auf der Tagungswebseite http://www.uni-potsdam.de/dvs-potsdam2015/index.html eingerichtet: zumindest die drei erstgenannten Hauptvorträge stehen seit Kurzem als Videos zur Verfügung, und der Abstract-Band als Download bietet zumindest einen Einblick in die Beiträge in den Arbeitskreisen. Im Folgenden finden Sie einen kleinen Überblick. Wie bei einem wissenschaftlichen Kongress zu erwarten, waren die Beiträge natürlich immer vom wissenschaftlichen Interesse geleitet und somit nur zum Teil unmittelbar für die leistungssportliche Trainingspraxis bedeutsam (ganz abgesehen von der deutlichen Breite der Thematik). Dennoch: den Vorträgen und Diskussionen war doch der eine oder andere Denkanstoß zu entnehmen. Mehrfach angesprochen bzw. diskutiert wurden forschungsmethodische bzw. –strategische Überlegungen. Dazu gehörte beispielsweise der verstärkte Einsatz von Metaanalysen, also der kritisch zusammenfassenden Aus- und Bewertung vorliegender „Einzelstudien“ u.a. für mehr Klarheit über das, was tatsächlich als belegt gelten kann. Ein großes Problem dabei ist, dass (vorliegende) Untersuchungen oft aufgrund des Vorgehens, der Messmethoden, der einbezogenen bzw. unberücksichtigten Kriterien usw. (bzw. mangels genauer Angaben darüber) schwer vergleichbar sind. U.a. wurde daraus der Wunsch abgeleitet, für künftige Untersuchungen klarere, umfangreichere Standards zu definieren, um so eine klarere Qualität der Studien zu erreichen. (Anmerkung: dies wäre einerseits sicher wünschenswert, könnte andererseits aber, gerade aus Sicht des Spitzensports, in dem ja eher der „Ausreißer“ als der „Durchschnitt“ selbst einer relativ homogenen Leistungsgruppe interessiert, auch das eine oder andere wertvolle Ergebnis „übersehen“. Vielleicht ist ja beides möglich und sinnvoll.) – Typische Beispiele für die zu lösende Problematik sind z.B. Untersuchungen zur Wirkung von Krafttraining, die nach klassisch vorgegebenen und dokumentierten Belastungsnormativen wie Umfang und Intensität ablaufen, aber weitere mögliche Einflussfaktoren wie Bewegungstempo, Pausenzeiten, Bewegungsqualität etc. nicht angeben, nicht erfassen oder nicht kontrollieren. Dieser Ansatz ist sicher auch relevant, wenn Trainer (ohne wissenschaftlichen Anspruch) ihr Training auswerten bzw. Erfahrungen austauschen. Das Thema der Individualität / Individualisierung, das im Frühjahr beim BISp-Symposium in Brühl (wir berichteten) im Mittelpunkt stand, war in Potsdam längst nicht ständig präsent, kam aber doch immer wieder einmal zur Sprache. Interessant war hier an einer Stelle der Vorschlag, systematischer eine Unterscheidung zwischen Respondern und Non-Respondern vorzunehmen. Inhaltlich betrachtet gab es häufiger Vorträge, in denen die Untersuchungsergebnisse unter Zugrundelegung angemessener wissenschaftlicher Kriterien gängige Lehrmeinungen entweder nicht bestätigten oder zumindest grundsätzliche Ergebnistendenzen nicht immer statistisch absichern konnten, bspw. bzgl. der Wirksamkeit von Stabilisationstraining auf stabilen vs. instabilen Untergründen, bzgl. der Anwendung von Wärme bei Rückentherapien mit oder ohne Wärmeanwendung oder bei Athletiktraining in Spielsportarten in komplexer, sprich gemischt-paralleler vs. Block-Anwendung (Schwerpunkte nacheinander). Mehrfach wurden hier zwar Wirkungen nachgewiesen, aber ohne signifikante Unterschiede zwischen den verglichenen Vorgehensweisen. – Ein anderer überraschender Punkt wurde in einem Arbeitskreis zu Schnelligkeit/Schnellkraft diskutiert. Aus einer Einzelfallstudie mit einem Topathleten wurde berichtet, dass zumindest bzgl. der Leistungsfähigkeit elementarer Schnelligkeit nach Trainingseinheiten (mit Ausnahme von Schnelligkeitsausdauer/Tempoläufen) keine üblicherweise erwartete Ermüdung festzustellen war. Ein Teilnehmer berichtete anschließend von ersten Diskussionen (außerhalb der Sportwissenschaft), wonach für Ermüdung des ZNS weniger die vorausgehende Belastung an sich, sondern möglicherweise eher der Grad der Monotonie entscheidend sein könnte. Auffällig war, dass von mehreren Vortragen, zum Teil sehr deutlich, qualitative Aspekte des Krafttrainings betont wurden, vor allem die Bewegungsqualität. Im Rahmen des Satelliten-Symposiums zum KINGS-Projekt, in dem vorrangig ein Überblick über das Projektvorhaben gegeben wurde, konnte Prof. Dr. Ralf Brand bereits vorläufige Daten aus einem frühen Teilbereich, einer Delphi-Studie mit Befragungen erfahrener Spitzentrainer aus dem Nachwuchstraining, berichten, auch wenn noch nicht alle Kandidaten befragt bzw. ausgewertet waren. Dabei wies er insbesondere darauf hin, dass die befragten Trainer gerade die Qualität/Bewegungsqualität als einen für sie sehr wichtigen Aspekt des Krafttrainings in der Nachwuchsentwicklung ansehen. – In einem Arbeitskreis wurde aus dem OSP Saarbrücken von einem Projekt berichtet, in dem es um ein präventives Training von D-Kader-Leichtathleten ging. Insbesondere plyometrische Übungen erlangten nur dann die gewünschte präventive Wirkung, wenn diese Übungen mit einer klaren Orientierung auf die Bewegungstechnik und nicht auf die Leistung durchgeführt wurden, und dies auch nur dann wenn die Übungen bis zu einem Alter von höchstens 18 Jahren gut erlernt und trainiert wurden. Eine durchgängig wichtige Rolle spielten hohe Ansprüche an die Bewegungsausführung und –entwicklung auch im Hauptbeitrag von Prof. Behm zum Krafttraining mit jungen Sportlern, und dies in dreierlei Hinsicht: - Im langfristigen Leistungsaufbau sollte zunächst mit Balance-Übungen begonnen werden. Behm: entwickle Balance, und du entwickelst damit auch Kraft und Leistung. Dann sollte im langfristigen Entwicklungsprozess Stabilisations- und Koordinations-/Techniktraining hinzukommen. - plyometrisches Krafttraining sollte erst systematisch angewendet werden, wenn die Sportler in der Lage sind, das 1,5fache des Körpergewichts in der Beinpresse zu absolvieren – das aber nur mit reduzierter Sprunghöhe und Wiederholungen, so dass die Bewegungsqualität gesichert wird. Für Kinder wies Behm darauf hin, dass eine Kombination aus leichten plyometrischen Übungen in Verbindung mit Gleichgewichtsübungen (d.h. wieder: gute Bewegungsqualität) zu besseren Leistungen in Sprint- und Shuttle-Übungen führt als ein reines Plyometrietraining ohne Balance. Dies bedeutet auch eine Reduktion der Belastung! - Behm sprach sich eindeutig für den Vorzug mehrgelenkiger Übungen auch mit Kindern aus (die aber richtig gelernt und durchgeführt aus) im Vergleich zu eingelenkigen Übungen. Dazu zählte er ausdrücklich auch technisch gekonnte und gut erlernte (nicht belastungsorientiert angewendete) Bewegungsabläufe der Langhantelübungen (olympic lifts), deren Nähe zur „athletic position“ vieler Sportarten, vor allem auch der Spiele, er als eine Begründung anführte.