Der richtigen PISTE folgen

26.04.2011 | 23:49 Uhr

Im Folgenden geht es um einen Beitrag von J. Fuchslocher u.a., aus der Zeitschrift „Mobile“ 6/2010 (Schweiz) zum Thema Talent.

Die geeignetsten Nachwuchssportler zu finden und sie bestmöglich auszubilden und zu fördern, hat die Trainer schon immer beschäftigt, und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Bei der Talentfrage geht es immer auch um eine Prognose für Kommendes. Und ein oft genutztes Zitat (das im Übrigen vielen Berühmtheiten zugeschrieben wird, noch nicht einmal die Vergangenheit ist eindeutig) sagt uns: „Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.“ Talent – ein unverzichtbares, aber auch schwieriges Thema!

Ein sinnvolles Talentselektionsinstrument soll die langfristig geeignetsten Sportler finden. Diese dürfen im (insbesondere frühen) Nachwuchssport nicht mit den aktuell Besten verwechselt werden. Es darf bezweifelt werden, dass dies in der Praxis angemessen und umfassend umgesetzt wird. Mehrfach wurde in den letzten Jahren bei Untersuchungen der „relative age effect“ gefunden: in den meist jahrgangsbezogenen Kadernominierungen findet sich immer wieder ein deutlicher Überhang der jeweils Älteren (die zu Beginn des Zeitraums Geborenen). Diese haben eben bis zu einem knappen Jahr Entwicklungsvorsprung und damit eine deutlich höhere Chance auf eine aktuell bessere Leistung.

Die Autoren sprechen von einem fatalen Doppelfehler bei der Talentauswahl: Spätentwickler und relativ Jüngere bleiben mangels aktuell besserer Leistungen unberücksichtigt und sind verloren, auch wenn sie gute Perspektiven haben. Und Frühentwickler sowie relativ Ältere werden gefördert, selbst wenn sie langfristig geringere Perspektiven haben. Folglich muss ein Talentselektionsinstrument mehr umfassen als nur die aktuellen Nachwuchsleistungen. Für und mit Swiss Olympic (das Schweizer Pendant zum DOSB) hat das Ressort Leistungssport an der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und Expertenmeinungen das Konzept PISTE (Prognostische Integrative Systematische Trainer-Einschätzung) entwickelt, das im genannten Beitrag vorgestellt wird. Es umfasst Kriterien aus den Bereichen Wettkampfleistung, Leistungstests und –entwicklung, psychologische Faktoren, Athletenbiografie und biologischer Entwicklungsstand. Dazu gibt es mehrere Unterkategorien mit Empfehlungen für die Beurteilung sowie einer Einschätzung zur Prognosevalidität hinsichtlich des Erfolgs im Elitesport.
Als „Big-Five-Kriterien“ bezeichnen die Autoren aus diesem Katalog diese Merkmale:

  • Wettkampfleistung im späten (nicht im frühen!) Nachwuchsalter – nach mehreren Kriterien, nicht nur dem Wettkampfresultat an sich
  • spezifische Leistungstests (abgeleitet von den leistungsbestimmenden Faktoren)
  • Leistungsentwicklung über einen längeren Zeitraum
  • Leistungsmotivation (auch wenn diese schwierig zu bestimmen ist)
  • Belastbarkeit (vor allem physisch, aber auch psychisch)

Wegen der gerade im frühen Alter großen Streuung und Prognoseungenauigkeit sowie der individuell häufiger sprunghaften Entwicklung wird vorgeschlagen, die Entwicklung langfristig in einem mit zunehmendem Alter enger werdenden Entwicklungs-„Kanal“ und nicht anhand eines festen Grenzwertes zu bewerten.
Das vorgelegte Instrumentarium ist ein komplexes und in der Grundfassung sportartenübergreifendes, deshalb zunächst noch allgemeines Instrument. Insofern ist es ein Grundgerüst, das Swiss Olympic den Fachverbänden zur Verfügung stellt, letztere müssen bzw. mussten dann die sportartspezifischen Konkretisierungen vornehmen und entwickeln. Dafür steht ein Handbuch mit Hilfestellungen, z.B. Entwürfen für Fragebögen usw., zur Verfügung (Manual Talentdiagnostik und –selektion, Hrsg. Swiss Olympic, 2008). Erste Erfahrungen zeigen, dass das Verfahren im Vergleich zu einer Berücksichtigung nur der aktuellen Nachwuchsleistungen erwartungsgemäß ungleich aufwändiger und schwieriger ist. Gleichwohl wird der Ansatz von den  Verbandsverantwortlichen als sinnvoll und inhaltlich stimmig beschrieben, insbesondere werden die Objektivität und Transparenz geschätzt.


Tipp: Das Manual kann im Internet eingesehen werden: http://www.swissolympic.ch/Portaldata/41/Resources/03_sport/verbaende/nachwuchskonzept/Manual_Talentdiagnostik_und_-selektion_230309.pdf