5. BISp-Symposium: "Individualisierte Trainings- und Wettkampfgestaltung"
Bereits zum 5. Mal veranstaltete das BISp Bundesinstitut für Sportwissenschaft ein Symposium „Theorie trifft Praxis“, diesmal zum Thema „Individualisierte Trainings- und Wettkampfgestaltung“. Die Veranstaltung am 12./13. März 2015 in der Hochschule des Bundes in Brühl war in zentrale Vorträge im Plenum, parallel verlaufende Arbeitskreise bzw. Workshops sowie eine Podiumsdiskussion gegliedert.
Prof. Dr. Christian Fischer, Professor für Erziehungswissenschaftler mit Schwerpunkt Begabungsforschung und Individuelle Förderung an der Universität Münster, hielt den Einführungsvortrag „Auf dem Weg zur Leistungsexzellenz“ und schaffte damit gleich den Blick über den Sport hinaus. Er unterscheidet klar zwischen Talent (wir möglicherweise einmal Exzellenz erreichen können), Hochbegabung (wird wahrscheinlich Exzellenz erreichen) und Experten (realisieren Exzellenz). Underachiever sind Talente, deren Leistungsrealisation aktuell niedriger als erwartet ist, wodurch sich ohne Intervention ungünstige Entwicklungsprognosen ableiten. Fischer macht deutlich, dass ein zielgerichteter Lern- und Entwicklungsprozess ein entscheidender Faktor für die Transformation von Begabung/Talent in Expertise/Leistungsrealisation ist. Eine Nähe zu den auch im Sport bekannten Modellen 10-Jahres/10.000-Stunden-Modell sowie dem Deliberate-Practice-Modell ist deutlich erkennbar. Für den genannten Transferprozess sind eine gute Passung (d.h. auch: Individualisierung), eine tragfähige Beziehung zwischen dem zu Entwickelnden und dem Förderer im Lernprozess(vgl. auch die Hattie-Studie zur Schulsituation vor einigen Jahren) sowie eine passende Umgebung und Begleitung erforderlich. Prof. Dr. Bernd Wolfarth, u.a. Leitender Olympiaarzt des DOSB sowie Charite/Humboldt-Universität Berlin, beleuchtete die Thematik aus sportmedizinischer Sicht. Er bezeichnete Individualität als wichtige, essentielle Leistungsreserve, die aber besonders im Hochleistungstraining wirksam einsetzbar ist. Eine vorausgehende breite Basiserarbeitung im Nachwuchsleistungssport ist Voraussetzung. Als Beispiel führt er Weltstandsanalysen v.a. aus dem Ausdauerbereich (Wintersport) an, wonach deutsche Sportler im Vergleich zur Weltspitze tendenziell einen deutlichen Rückstand im Trainingsumfang aufweisen, der durch individuelles Vorgehen allein nicht wettzumachen ist. Gleichzeitig nennt er Beispiele für individuelle Maßnahmen wie ein teilweiser Verzicht auf Wettkämpfe. – Durch Individualisierung ist vor allem eine bessere Lösung der Belastungs-Beanspruchungs-Problematik in der Trainingssteuerung anzustreben. Wolfahrt stellt Monitoring-Verfahren aus der Praxis vor. Allerdings gibt es aktuell noch keinen wirklichen Gold-Standard dafür. Dr. Babett Lobinger, Deutsche Sporthochschule Köln, trug aus Sicht der Sportpsychologie vor. Individualität, Heterogenität und Differenzierung betreffen vor allem das Coaching, bspw. bzgl. Lernprozessen oder Informationsverarbeitung und –gestaltung. Schlagworte dazu sind Entwicklungsziele, Aufgabenspezifität sowie Instruktion und Feedback. Grenzen findet die Praxis der Individualisierung u.a. in den Rahmenbedingungen. Laut Lobinger liegen zu individuellen Entwicklungsverläufen nur wenige Studien aus psychologischer Sicht vor. Es stellen sich auch besondere Herausforderungen an die Forschungsmethodik. Prof. Dr. Mark Pfeiffer, Universität Mainz, repräsentierte die trainingswissenschaftliche Sicht. Mit zunehmendem Leistungsniveau ist die gezielte individuelle Trainingssteuerung von entscheidender Bedeutung. Dies lässt sich trainingswissenschaftlich gut begründen. Er führt zunächst Beiträge aus Leistungs- und Wettkampfdiagnostik sowie Trainingsgestaltung an und diskutiert sie kritisch. Schlagworte sind etwa eine Unterscheidung in Responder und Non-Responder oder Kenntnisse über leistungsbestimmende Faktoren im Einzelnen, aber weniger im Gesamtgefügte. Pfeiffer rsümiert, dass auf hohem Abstraktionsniveau trainingswissenschaftliche Modelle vorliegen, die aber zu wenig die Praxis erreichten. Das betrifft insbesondere die Trainingssteuerung. Prof. Dr. Ansgar Thiel, Universität Tübingen, präsentierte aus dem Blickwinkel der Sportsoziologie. Individualisierte Trainingssteuerung wird zwar in vielen soziologischen Studien angesprochen, aber nicht eigens untersucht. Thiel konstatiert eine zunehmende Diskrepanz zwischen allgemein-gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen fest (z.B. bzgl. Akzeptanz von leistungssportlichen Anforderungen oder zunehmende Individualisierungstendenzen etwa im Sinne von Selbstverwirklichung). Die Bereitschaft, sich leistungssportlichen Anforderungen zu stellen, nimmt ab. Thiels Fazit: die „Ressource Athlet“ nimmt ab, um dem entgegenzurwirken, bekommt eine individualisierte „biopsychosoziale Pflege“ des Athleten mehr Bedeutung. Dafür müssen Spitzensport und Nachwuchsleistungssport eine kollektive Identität bzw. Wertesystem entwickeln und anbieten. Ergänzend zu diesen Plenumsangeboten gab es Diskussions- und Austauschmöglichkeiten in vier parallelen Arbeitskreisen (Sportmedizin, Informationstechnologien, Sportpsychologie und Trainings- und Bewegungswissenschaft) sowie vier parallelen Workshops (Nachwuchsleistungssport, Behindertensport, Hochleistungssport / Individualisierung und Wearables im Sport).Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft hat inzwischen auf seiner Webseite zur weiteren Information vollständige Videoaufzeichnungen aller Plenumsvorträge und der Podiumsdiskussion sowie Zusammenfassungen aus den Arbeitskreisen und Workshops bereitgestellt: http://www.bisp.de/DE/WissenVermitteln/Aktuelles/Nachrichten/2015/Symposium-Bericht-Videos.html;jsessionid=1D7463A88BCD01F642F6C699CF8EDBFC.1_cid378