Für Sie gelesen - Complete Conditioning for Swimming
D Salo & S A Riewald Complete Conditioning for Swimming (2008) Human Kinetics, 241 S
„Ich hätte schneller schwimmen sollen. Das war blöd, zu verhalten, ich kriege einfach die Frequenz nicht hoch. Mir fehlt die Geschwindigkeit“. Dieses von P Biedermann (21. 05. 12 EM 2012 nach 400m Freistil 03:47,84) geäußerte Dilemma könnte der Ursprung des hier vorgestellten Buches sein, auch wenn der Titel „Complete Conditioning for Swimming (2008 Human Kinetics, 241 S) nicht sofort darauf schließen lässt. Die Autoren D Salo & S A Riewald sind selber seit Jahrzehnten Trainer von Top-Schwimmern der US-Olympiamannschaft und geben an, vergleichbare Äußerungen hätten sie zu ihrem Buch veranlasst. Ihr Anspruch „die sich stetig verbessernde Kenntnis zur Senkung der Wettkampfzeiten“ darzustellen, wird in 11 Kapiteln erfüllt.
Dieses Buch enthält weiterführende Erkenntnisse von trainingswissenschaftlichen Zusammenhängen, die nicht nur die „Schwimmer“ interessieren. Ganz nach dem Motto der Autoren, die Inhalte „in layperson’s term“ zu präsentieren, wird auf abstrakte wissenschaftliche Theoriegebäude verzichtet. Den Autoren ist wichtig, Einstellungsänderung auf Trainerseite bzgl. der Zusammenhänge von Trainingsinhalten und Wettkampfverhalten zu bewirken, damit immer weniger Athleten zu den o.g. Aussagen kommen (müssen). Beim Lesen fällt auf, dass die Autoren, ohne zu theoretisieren, gängige Begriffe des Trainings gern auf ihre ursprüngliche Bedeutung anwenden. Sie stellen Conditioning in Verbindung mit Zustandsänderung, wie es auch in der (Lern)Psychologie genutzt wird. Sie betonen den stetigen engen prozessualen Rückwirkungszusammenhang zwischen kognitiven und leiblichen Aspekten einer zielgerichteten (Bewegungs)Handlung. Dieser Zusammenhang wird noch zu wenig bei der Diskussion über die Anpassung auf Beanspruchung berücksichtigt (nicht von ungefähr ist im Titel auch von complete die Rede). Sie geben zu verstehen, dass ein „geistlos“ absolviertes Training (was bei umfangsbezogenem Training leicht der Fall ist) eine erwünschte Zustandsänderung von Systemen, i.S. der Anpassung an eine Beanspruchung wenig wahrscheinlich macht.
Salo & Riewald stellen sich in Gegensatz zur gängigen Auffassung, derzufolge das Training im Schwimmsport umfangsbetont ausgerichtet sein muß. Hingegen empfehlen sie tägliches „race-pace“ & „race-rate“-Training. Viele bekannte Top-Schwimmer/innen sind von ihnen über vier Olympiaden mit dieser Einstellung zu Medaillen geführt worden und verweisen auf Praxisbeispiele im Buch. Durch häufiges race-pace-Training, so ihre Botschaft, werden Gehirn und Muskeln in ein „aufbauendes Gespräch“ (“… build neuromuscular adaptations … brain and muscles talking to each other properly”) gezwungen. Ohne dieses „Gespräch“ sind muskuläre Anpassungserscheinungen lausig, obwohl der Muskel tut was er kann (geringe Anpassungserscheinungen sind auch durch viele KLD – Ergebnisse von Spitzenathleten nach quantitativ orientiertem Training belegt).
Man darf davon ausgehen, dass die Autoren die Wirkung von umfangsbetonten Trainingseinheiten kennen und berücksichtigen. Aber für Salo & Riewald macht es einen Unterschied, ob die Trainingsmeter mit Fokus auf das „Gespräch“ absolviert werden oder nicht. Neue kognitions-orientierte Forschung kommt auch zu dem Ergebnis, dass Anpassungsprozesse über stetige geistige Aufmerksamkeit für nahezu jeden Zyklus letztlich erst ermöglicht werden. Leider geht ihre „Verbundenheit mit dem Leser“ nun nicht so weit, ihm die Überlegungen abzunehmen, wie die stetige geistige Aufmerksamkeit für nahezu jeden Zyklus im (Wasser)Training zu erreichen ist. Aber das kommt häufiger vor, dass Trainer manche Geheimnisse für sich behalten möchten.
Hingegen stellen die Autoren die zum strength and conditioning gehörigen Aufgaben in rd. 70 Abbildungen ausführlich dar, die mit erfreulich genauen „Aktionsskizzen“ ergänzt werden, d.h. vollständige, verständliche Beschreibung unverzichtbarer Aktionsteile. Trainingsziel von Complete Conditioning ist es, den „Leib stählen“, was sie durch den ihnen wichtigen Begriff foundational strength hervorheben. Sie definieren strength als „Intensität einer Kraft“ (power capacity). In mannigfaltigen Trainingsbeispielen wird dargelegt, wie die außerhalb des Wassers antrainierte strength auf die Leistungsabgabe bei der Interaktion mit den Wassermassen übertragbar ist. Damit gehen sie auf eine von Schwimmern immer wieder gestellte Frage nach dem Transfer ein. Erfreulich, weil nicht selbstverständlich, wird immer wieder erläutert, wie die Gesamtenergiebilanz aller Muskelgruppen und die Wettkampfzeiten im Becken im Zusammenhang stehen.
Da in diesem Buch immer wieder die Belange unterschiedlicher Sportlergruppen, wie Heranwachsende, Triathleten oder Masterschwimmer angesprochen kommen, gehen von diesem Werk viele praktikable Impulse aus. Der häufig zu beobachtende Astralkörper bei Schwimmern ist kein Ergebnis massierender Wassermassen, sondern von allumfassenden strength –orientierten Übungen an Land. Auch wenn von Trainern die figura als Motiv zum engagierten Sporttreiben ihrer Athleten kaum akzeptiert wird, sind viele der beschriebenen Aufgaben beispielgebend und können spartenübergreifend verwendet werden – immer auch zum Vorteil der Figur. Das Urteil -Lesenswert für Wissbegierige aller Sportarten, nicht nur für Schwimmtrainer – ist nicht übertrieben!